Diözesan-Armutsreferentin Hofmann über Konkurrenz unter Armen

"Die Stärke liegt in der Solidarität"

Gibt es das Phänomen der "Armutskonkurrenz", also einer Konkurrenz unter verschiedenen Bedürftigen in Deutschland? Darüber philosophiert Michaela Hofmann, Armutsreferentin beim Diözesancaritasverband Köln, in domradio.de.

Bedürftige in einer Suppenküche / © Gregory A. Shemitz (dpa)
Bedürftige in einer Suppenküche / © Gregory A. Shemitz ( dpa )

domradio.de: Beobachten Sie, dass eine Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Gruppen Benachteiligter entsteht?

Michaela Hofmann, Armutsreferentin beim Diözesancaritasverband Köln: Ja, man kann schon beobachten, dass die Leute genau hingucken, wer da noch kommt und ob für sie genug übrigbleibt; ob das tatsächlich mit den Flüchtlingen zusammenhängt oder nicht ein Ursprungs-Dilemma der Menschlichkeit ist, immer auch auf andere zu gucken und darauf Wert zu legen, dass man auch etwas bekommt, weiß ich nicht genau. Aber ich würde es jetzt nicht nur an den Flüchtlingen festmachen.

domradio.de: Trotzdem haben wir seit dem Flüchtlingssommer 2015 deutlich mehr mit Geflüchteten zu tun. Hat sich da noch etwas getan in dieser Frage?

Hofmann: Wir haben mehr Geflüchtete und sicherlich haben die Menschen mitbekommen, dass auf einmal ganz viele Ehrenamtliche da waren, die diese auch gesehen haben. Und ich glaube, dass ist das Problem. Die vielen Menschen, die schon jahrelang in Armut leben und sich unheimlich anstrengen, daraus zu kommen, werden einfach nicht in der Gesellschaft gesehen.

Jetzt kam eine neue Gruppe von Geflüchteten. Da waren die Zeitungen und Fernsehberichte voll davon und alle haben gesagt "Oh, diese armen Menschen". Das hat das Gefühl bei den Beanchteiligten verstärkt, dass sie sich noch mehr am Rande der Gesellschaft und noch weniger wert fühlen, obwohl sie sich so anstrengen. Und das macht, glaube ich, diesen Konflikt aus, vor allem auch, dass die Leute sagen "Die sollen doch weg sein, damit man mich endlich mal wieder sieht". 

domradio.de: Emotional kann man das sogar verstehen, wenn man sich in die Perspektive der Betroffenen hineinversetzt.

Hofmann: Ja, diese Konkurrenz kennt man ja auch unter Geschwistern. Was macht ein Kind, was sich nie von den Eltern gesehen fühlt? Es fängt an zu beißen, zu kratzen oder sonst irgendwas, um auf sich aufmerksam zu machen. Es ist immer wichtig, dass man Menschen auch sieht.

domradio.de: Schauen wir auf den Wirklichkeitsgehalt des Gefühls, zu kurz zu kommen. Ist da wirklich was dran? Nur weil jetzt eine neue Gruppe Bedürftiger aufgetaucht ist, kriegen die anderen weniger ab vom Kuchen? 

Hofmann: Nein, das nicht. Unsere Gesetze sind ja so geregelt, dass jeder entweder zum Jobcenter gehen muss oder eben zum Ausländeramt und da bekommt keiner mehr, als der andere. Das wird immer so erzählt, aber das stimmt nicht. Das ist eine glatte Lüge, dass hier Flüchtlinge mehr Geld bekommen als diejenigen, die hier schon seit längerem im Hartz VI-Bezug sind. Das stimmt nicht.

domradio.de: Ein greifbares Beispiel ist vielleicht der Wohnungsmarkt. Bezahlbarer Wohnraum ist ja wirklich knapper geworden, seitdem es jetzt noch mehr Bewerber um Sozialwohnungen gibt, oder?

Hofmann: Ja, aber nicht die Flüchtlinge sind schuld daran, dass es so wenige Wohnungen gibt. Da ist über lange Zeit viel versäumt worden. Es sind politische Entscheidungen gewesen, nicht noch mehr Wohnungen, bzw. mehr Sozialwohnungen zu bauen. Der eigentliche Knackpunkt und der Schlüssel ist, dass jetzt viel mehr in bezahlbare Wohnungen und Wohnraum investiert werden müsste. Dagegen können die Kommune, das Land oder der Bund etwas tun.

domradio.de: Wie gehen Sie bei der Caritas damit um, wenn sie Schützlinge haben, die scharf gegen Flüchtlinge schießen?

Hofmann: Das wird thematisiert. Wir lassen das nicht zu. Rassismus, Beschimpfungen und Abwertungen gibt es bei uns nicht. Für uns ist es wichtig, dass man den Menschen sieht. Und es ist wichtig mit demjenigen, der gerade schießt, auch in Kontakt zu treten und zu sagen: "Sag mal, warum schießt du denn?" Aber wenn die nicht aufhören, dann muss man halt auch mal sagen: "Da vorne ist die Tür, ich hör mir das nicht länger an!"

domradio.de: Es gibt ein Papier der nationalen Armutskonferenz, in der die Caritas auch Mitglied ist, zum Thema "Solidarität statt Konkurrenz". Ist es realistisch bei verärgerten "deutschen" Bedürftigen, um Solidarität mit neuzugewanderten Bedürftigen zu werben?

Hofmann: Ich kann ja nicht aufhören, nur weil es manchmal Menschen gibt, die das nicht hören wollen. Es gibt auch ganz viele, die das hören wollen und Menschen, mit denen man gut in Kontakt treten kann; die hinterher sagen, dass sie das nicht gewusst haben. Eigentlich liegt die Stärke in der Solidarität und nicht in der Abgrenzung, Ausgrenzung und Abwertung anderer.

domradio.de: Gerade beim Thema Wohnungsmarkt können wir sagen, dass nicht die Flüchtlinge schuld sind, dass zu wenige Wohnungen da sind, sondern die Politik etwas versäumt hat. Welche Stellschrauben hätte denn die Politik, um einer solchen "Armutskonkurrenz" wirklich wirksam entgegenzuwirken?

Hofmann: Man müsste mehr Geld in den Arbeitsmarkt und in Bildung investieren. Die Leute, die bei uns keinen Schulabschluss haben, haben auch schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Da muss man schauen, was wollen die eigentlich und dann dementsprechend ganz gezielte individuelle Unterstützung zu geben.

Weiterhin geht es darum, Alleinerziehende zu unterstützen, indem man zum Beispiel eine bessere Kinderbetreuung anbietet. Es gibt Unmengen an Stellschrauben; die sind auch alle beschrieben. Die Lösungen liegen alle auf dem Tisch. Die Politik braucht diese bei der Caritas oder bei der nationalen Armutskonferenz nur abfragen.

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.


Michaela Hofmann (Diözesan-Caritasverband Erzbistum Köln)
Quelle:
DR
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