Dritter Geschlechtseintrag im Geburtenregister nötig

Karlsruhe will mehr als Mann und Frau

Was für die meisten mehr als selbstverständlich ist, macht einer Minderheit der Menschen schwer zu schaffen: Bin ich Mann oder Frau? Das Bundesverfassungsgericht verlangt nun, die Problematik zu berücksichtigen. Lob kommt vom Ethikrat.

Autor/in:
Michael Jacquemain
Bundesverfassungsgericht (dpa)
Bundesverfassungsgericht / ( dpa )

Nach vier Jahren kommt der Bumerang zurück: Zwar hatte der Bundestag 2013 das Personenstandsgesetz geändert und grundsätzlich ein weiteres Geschlecht neben Mann und Frau ermöglicht, zugleich aber eine Reihe rechtlicher Fragen aufgeworfen, ohne sie zu lösen.

Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Gesetzgeber im Geburtenregister neben männlich und weiblich einen weiteren Geschlechtseintrag ermöglichen muss. Die Regelung betrifft all diejenigen, die sich nicht als Mann oder Frau sehen. Der Beschluss des Ersten Senats lässt bewusst offen, wie das Parlament diese Vorgabe genau umsetzt.

Vielfältige Ausformungen

Intersexualität kann sich an den Chromosomen, den Hormonen oder den anatomischen Geschlechtsmerkmalen zeigen. Die Ausformungen sind vielfältig. In der Vergangenheit wurden meist in der frühen Kindheit genitalangleichende Operationen vorgenommen, ergänzt durch eine langfristige hormonelle Nachbehandlung. Intersexuelle sahen darin teils eine biologische Normierung und Zwangsbehandlung.

Inzwischen sind die Ärzte zurückhaltender. Betroffen sind nach Schätzungen zwischen einem und zwei von Tausend Menschen. Die Problematik kommt seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zunehmend stärker ins allgemeine Bewusstsein.

Intersexuelle sind von Transsexuellen zu unterscheiden. Letztere können einem Geschlecht zugeordnet werden, fühlen sich aber dem anderen Geschlecht zugehörig und wollen entsprechend anerkannt werden. Diese Fälle sind rechtlich weitgehend geregelt.

Ethikrat mit Thema befasst

Mit den Problemen intersexueller Menschen hatte sich 2011 auch der Deutsche Ethikrat befasst. Er empfahl, Betroffene später selbst über ihr Schicksal entscheiden zu lassen, es sei denn, ein Eingriff sei "aufgrund unabweisbarer Gründe des Kindeswohls erforderlich".

Der Erste Senat, der seine Entscheidung vom Mittwoch mit sieben zu eins traf, betonte, die geltenden Regelungen des Personenstandsrechts seien mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie gegen das Diskriminierungsverbot verstießen. Der Zuordnung zu einem Geschlecht komme "herausragende Bedeutung" zu. Dies gelte auch für jene, "die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind". Die Möglichkeit, beim Geschlecht "fehlende Angabe" einzutragen, reiche nicht aus.

Eine Neuregelung muss nun bis Ende 2018 geschaffen werden. Dafür muss nach den Vorgaben des Gerichts ein "bürokratischer und finanzieller Aufwand" der Behörden hingenommen werden. Aber Karlsruhe wies zugleich einen Weg, genau das zu umgehen: indem künftig generell auf Geschlechtseinträge verzichtet wird. In die Richtung hatte der Ethikrat bereits 2011 gewiesen und dem Gesetzgeber als Grundlage für Entscheidungen die Prüfung angeraten, "ob eine Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister überhaupt noch notwendig ist".

Moraltheologe begrüßt Entscheidung

In einer ersten Stellungnahme hat der katholische Moraltheologe Andreas Lob-Hüdepohl die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Intersexualität begrüßt. "Intersexuelle Personen verdienen als solche volle Anerkennung und Respekt", sagte er am Mittwoch der Deutschen Welle.

Lob-Hüdepohl gehört dem Deutschen Ethikrat an. "Aus ethischer Sicht ist Intersexualität eine leiblich bedingte, außergewöhnliche Variante der gewöhnlichen Zweigeschlechtlichkeit menschlichen Lebens und seiner sexuellen Entwicklungspfade", sagte der Ethiker.


Andreas Lob-Hüdepohl / © Harald Oppitz (KNA)
Andreas Lob-Hüdepohl / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA