Bertelsmann-Studie warnt vor dauerhafter Kinderarmut

"Wer einmal arm ist, bleibt arm"

​Von Armut betroffene Kinder haben oft keine Chance, dieser Situation zu entkommen. 21 Prozent aller Mädchen und Jungen in Deutschland lebten dauerhaft oder wiederkehrend in einer Notlage, heißt es in einer Studie der Bertelsmann Stiftung. 

Thema: Kinderarmut in Deutschland (dpa)
Thema: Kinderarmut in Deutschland / ( dpa )

Weitere 10 Prozent seien kurzzeitig von Armut betroffen. Die Untersuchung der Bertelsmann Stiftung thematisiert Bedingungen und Konsequenzen von Kinderarmut in Deutschland. "Wer einmal arm ist, bleibt lange arm. Zu wenige Familien können sich aus Armut befreien", erklärte Stiftungs-Vorstand Jörg Dräger. Als arm gelten Menschen, die in Haushalten leben, denen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung steht oder die staatliche Grundsicherungsleistungen beziehen.

In Deutschland bedürftig zu sein, bedeutet laut Stiftung, auf vieles verzichten zu müssen, was für andere normal sei. Vor allem soziale und kulturelle Aktivitäten seien für benachteiligte Kinder nur eingeschränkt möglich. Besonders häufig betroffen sind den Angaben zufolge Kinder alleinerziehender Eltern, solche mit mindestens zwei Geschwistern oder mit gering qualifizierten Eltern.

 

Teufelskreislauf #Kinderarmut: In unserem Land leben rund 21 Prozent aller Kinder über Jahre hinweg in Armut - mit weitreichenden Folgen: https://t.co/5YVXV1ZtpN (sr)

— Bertelsmann Stiftung (@BertelsmannSt) 23. Oktober 2017

 

"Vererbung von Armut durchbrechen"

Die Armutserfahrung im Kindesalter wirke sich nachteilig auf die Zukunftsperspektiven aus, hieß es. Wer schon als Kind arm sei und nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne, habe auch in der Schule nachweisbar schlechtere Chancen. Das verringere die Möglichkeiten, später ein selbstbestimmtes Leben außerhalb von Armut zu führen. Dräger forderte, die "Vererbung" von Armut zu durchbrechen. Dazu sei ein Paradigmenwechsel in der Politik notwendig.

Als Gegenmaßnahmen forderte der Stiftungs-Vorstand, die Bedarfe von Kindern und Jugendlichen systematisch zu erfassen und in den Mittelpunkt des politischen Handelns zu rücken. Auf dieser Grundlage sollten neue finanzielle Leistungen geschaffen werden, die arme Kinder unbürokratisch und vor Ort unterstützten.

Für die Studie wurden der Stiftung zufolge die jährliche Einkommenssituation von Familien über einen Zeitraum von fünf Jahren betrachtet und Informationen von 3.180 Heranwachsenden ausgewertet. Berücksichtigt wurde sowohl die Armutsgefährdung zu einem bestimmten Zeitpunkt als auch wiederholte Befragungen von Personen.

"Armut gehört auf die Agenda"

Kirche und Hilfsorganisationen mahnten zum Handeln. Caritas-Präsident Peter Neher erklärte: "Die Bekämpfung der Armut von Kindern und Familien gehört ganz oben auf die Agenda bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen." Die Caritas plädiere dafür, Eltern mit Problemen möglichst frühzeitig Unterstützung anzubieten. Dabei sei es hilfreich, mit Eltern dort ins Gespräch zu kommen, wo sie bereits in Kontakt mit Beratungs- und Unterstützungsdiensten seien.

Die Diakonie drängte auch auf konkrete Maßnahmen gegen Kinderarmut im Koalitionsvertrag. "Wir brauchen eine einheitliche Sockelförderung als Kindergrundsicherung, die durch weitere Unterstützungen und Maßnahmen wie kostenlose Verpflegung in Kita und Schule, Bildungsförderung, Beratungs- und Freizeitangebote ergänzt wird", forderte der Vorstand Sozialpolitik der Diakonie, Maria Loheide. Das Deutsche Kinderhilfswerk und der Paritätische Wohlfahrtsverband äußerte auch Sorgen und plädierten für politische Lösungen.

Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick zeigte sich enttäuscht von dem Ergebnis der Studie: "Kinderarmut Armutszeugnis!", twitterte er und kritisierte eine "verfehlte Familienpolitik". Zugleich verwies Schick auf seine Worte vom Wochenende, in denen er an die künftige Regierung appelliert hatte, Familien zu fördern und zu entlasten.


Quelle:
KNA