Diskussion um Pflegenotstand in deutschen Krankenhäusern

"Dieses Hamsterrad abschaffen"

Zu wenig Personal, viel Stress, gar Pflegenotstand? Mit einem Streik in einem katholischen Krankenhaus im Saarland wollten die Mitarbeiter auf ihre Situation aufmerksam machen. Doch es bleibt ein generell zu lösendes Problem.

Pflege in einem Krankenhaus / © BBT-Gruppe/Harald Oppitz (KNA)
Pflege in einem Krankenhaus / © BBT-Gruppe/Harald Oppitz ( KNA )

domradio.de: Können Sie verstehen, dass Krankenhausmitarbeiter im Saarland streiken und auf die Straße gegangen sind? 

Ingo Morell (Vorsitzender der Diözesanarbeitsgemeinschaft der katholischen Krankenhäuser im Erzbistum Köln): Ich kann sehr gut verstehen, wenn Menschen für eine Verbesserung der Personalausstattung im Krankenhaus, insbesondere in der Pflege, auf die Straße gehen. Ehrlich gesagt ist da viel Sympathie dabei.

domradio.de: Normalerweise wird ja auch für mehr Geld gestreikt. Im Saarland geht es den Mitarbeitern aber um ganz was anderes, nämlich um einen Tarifvertrag und eine Mindestanzahl beim Pflegepersonal. Wie kann man sich die Situation in den Krankenhäusern in Deutschland überhaupt vorstellen?

Morell: Da muss man unterscheiden. Im Moment würde uns auch ein Tarifvertrag überhaupt nichts nützen, weil es in den meisten Häusern, die ich kenne, deutliche Probleme in der Besetzung der vorhandenen Stellen gibt. In der Nachbesetzung von freiwerdenden Stellen gibt es sogar momentan riesige Probleme, wobei sich dies von Haus zu Haus auch immer sehr unterschiedlich darstellt. Das hängt auch von den jeweiligen Zeitfenstern ab. Deshalb ist das Wort "Pflegenotstand" für mich im Moment noch ein bisschen zu früh in der Öffentlichkeit und zu hoch gegriffen. Aber wir steuern darauf hin, das glaube ich auch.

domradio.de: Das heißt, es kommen generell zu wenige Leute nach, die den Beruf ergreifen?

Morell: Nein. Das ist auch so etwas, was immer wieder gesagt wird. Wir haben mehrere Krankenpflegeschulen und die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber ist nach wie vor gleich, beziehungsweise zum Teil auch sogar gestiegen. Also ergreifen auch immer mehr den Beruf. Aber man muss auch dazu sagen, dass die Anforderungen immer mehr steigen. Gerade jetzt kommen in katholischen Krankenhäusern Themen wie "Patienten mit Demenz" oder "Palliativstation" immer wieder auf die Agenda und es wird deutlich mehr Pflegepersonal gebraucht als früher. Das ist also ein Mischmasch aus beidem. Wir haben zu wenig vorhandene Stellen, vor allem für das, was zukünftig noch mehr auf uns zukommen wird. In der Altenhilfe ist das ja noch viel elementarer. Dafür haben wir dann definitiv zu wenig Personal, auch in der Ausbildung.

domradio.de: Die Bundestagswahl ist ja jetzt mehr als drei Wochen her. Die neue Regierung steht noch nicht ganz. Was fordern sie denn von der zukünftigen Regierung?

Morell: Zum einen muss der Weg der generalistischen Ausbildung jetzt konsequent weitergegangen werden, weil wir das Berufsbild sozusagen europaweit attraktiv machen müssen. Das ist der eine Punkt. Der andere Punkt ist, dass man das Finanzierungssystem nochmal neu überdenken muss, damit genau diese "weichen Faktoren" sinken. Die Pflege des Patienten am Bett muss mehr Berücksichtigung finden. Im Moment kann sich ein normales Krankenhaus nur auf Dauer refinanzieren, wenn es jedes Jahr immer mehr Patienten behandelt. Dieses Hamsterrad muss man abschaffen.

domradio.de: Eine Mehrzahl an Patienten würde ja eigentlich bedeuten, man bräuchte mehr Pfleger. Ansonsten sind ja wieder die überlastet, die jetzt angestellt sind.

Morell: Genau das. Die Belastung muss eigentlich auch zurückgehen. Da haben die Pflegekräfte ebenfalls meine volle Unterstützung. Es werden derzeit auch viele Modelle diskutiert und umgesetzt, auch in meinen eigenen Häusern, wo unter anderem andere Arbeitszeiten probiert werden. Man muss aber natürlich auch immer am Ende des Tages immer wieder sagen,  wir können das Krankenhaus nicht um 17.00 Uhr schließen.  Es wird weiterhin Nachtdienste, Bereitschaftsdienste geben müssen.  Und wenn wir dort Verbesserungen haben wollen,  dann wird das am Ende des Tages doch Geld kosten. Es ist wie immer eine Gretchenfrage, wer dazu bereit ist, das dann am Ende des Tages auch wirklich zu bezahlen.

domradio.de: Inwieweit ist denn die Caritas in der Pflicht? Was tut sie, um diesen Notstand zu bekämpfen?

Morell: Die Caritas oder die katholischen Krankenhäuser engagieren sich im Moment wirklich sehr, sehr stark gerade für die Patientengruppen, die ein bisschen durchs Raster fallen - gerade demente Patienten oder eben die Palliativpatienten oder vulnerable Patienten. Also Patienten, mit denen man erst einmal, ich sage dies provokativ, kein Geld verdienen kann. Darum kümmern wir uns schon. Aber die Caritas kann natürlich nicht das Finanzierungssystem ändern. Da hat sie gar nicht die Möglichkeit zu. Wir können bei der Politik immer wieder nur dafür werben, diese Aspekte mehr in den Vordergrund zu nehmen und Krankenhäuser wieder stärker als Teil der Daseinsvorsorge zu sehen. Das sollte in den Fokus genommen werden und weniger der ökonomische Aspekt bei der ganzen Geschichte.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR