Adveniat mahnt zum Welttag für menschenwürdige Arbeit

"Selbstverpflichtung reicht nicht"

Sklaverei ist kein Phänomen des Mittelalters - darauf macht der Welttag für menschenwürdige Arbeit an diesem Samstag aufmerksam. Denn geschätzte 46 Millionen Menschen arbeiten weltweit in sklavenähnlichen Verhältnissen.

Fließbandarbeit / © Gregor Fischer (dpa)
Fließbandarbeit / © Gregor Fischer ( dpa )

domradio.de: In diesem Jahr haben sich der Deutsche Gewerkschaftsbund und zahlreiche katholische Verbände und Organisationen zusammengeschlossen, um anlässlich des Welttages für menschenwürdige Arbeit am 7. Oktober an die potentiellen Koalitionspartner in Berlin zu appellieren, konkrete Schritte zur Sicherung der Menschenwürde in der Wirtschaft hierzulande und weltweit zu vereinbaren. Sie fordern gemeinsam mit Gewerkschaften und Kirchen die künftige Bundesregierung dazu auf, auch in Deutschland ausbeuterische Arbeitsbedingungen konsequent zu bekämpfen. Welche meinen Sie denn damit konkret?

Stephan Jentgens (Geschäftsführer des katholischen Lateinamerikahilfswerkes Adveniat): Wenn wir auf Deutschland schauen, können wir sagen, dass hier schon vieles erreicht wurde. Trotzdem bleiben zum Beispiel im Pflegebereich, im informellen Sektor und in Bevölkerungsgruppen, die von Altersarmut betroffen sind, noch einige Dinge zu tun. Da geht es darum, dass Löhne und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden, die vor Armut jetzt und in Zukunft schützen.

domradio.de: Ist nicht mit dem Mindestlohn in der vergangenen Legislaturperiode schon einiges gewonnen?

Jentgens: Ja, es gibt den Versuch, mit dem Mindestlohn eine solche Absicherung hinzubekommen. Die Höhe des Mindestlohnes wird aber immer noch diskutiert und man muss fragen, ob der wirklich zum Leben und für eine Altersabsicherung reicht.

domradio.de: Die Anzahl "moderner Sklaven" wird weltweit auf 46 Millionen geschätzt. Sie sind als Geschäftsführer von Adveniat viel unterwegs: Wo ist Ihnen moderne Sklaverei begegnet?

Jentgens: Wenn man von menschenunwürdiger Arbeit spricht, dann schaut man vor allem nach Asien. Aber das Phänomen gibt es überall. In Mittelamerika zum Beispiel arbeiten rund 390.000 Menschen in so genannten "maquilas" [Anm.: Montagebetriebe, die importierte Einzelteile oder zu Fertigware zusammensetzen] in Sonderwirtschaftszonen, die dafür sorgen, dass wir hier mit billigen Waren versorgt werden. In diesen maquilas arbeiten die Menschen unter großem Druck: 60-Stunden-Wochen, Doppelschichten und kein Lohn im Krankheitsfall. Das gibt es auch in Mexiko oder Argentinien und es ist ein Netzwerk weltweiter Produktion, die dafür sorgt, dass wir hier so billige Waren kaufen können.

Zudem beobachten wir in Fällen, wo sich Arbeitnehmer zusammenschließen, um ihre Rechte gemeinsam zu vertreten, dass zunehmend Druck und Verfolgung herrschen. Es kam sogar schon zu Entführungen und Ermordungen. Es gibt regelrechte schwarze Listen, auf denen die Namen derer stehen, die versuchen, die Arbeiter zu organisieren. Das führt natürlich zu einer weiteren Einschüchterung der Menschen, sodass sich viele eben nicht organisieren.

domradio.de: Inwiefern sind wir in den Industriestaaten dafür verantwortlich?

Jentgens: Wir sind in verschiedener Hinsicht verantwortlich: Zum einen finde ich, dass die Haltung "Geiz ist geil" falsch ist, Geiz ist gottlos, denn er sorgt dafür, dass am anderen Ende der Handels- und Produktionskette Menschen darunter leiden und nicht ihr tägliches Auskommen haben.

Aber es geht auch um die Handelsketten und wer innerhalb derer letztlich verdient. Und es geht um die Gesetzeslage hier in Deutschland: Beispielsweise die ILO-Arbeitsnorm 169, die vorgibt, dass bei der Ausbeutung von Bodenschätzen die ortsansässige Bevölkerung miteinbezogen und geklärt wird, wie soziale und ökologische Standards beim Abbau berücksichtigt werden.

Diese ILO-Kernarbeitsnorm ist von der Bundesrepublik in den 1990er Jahren offiziell angenommen, bis heute aber nie in Gesetze gegossen worden. Das führt dazu, dass Deutschland zwar mit weißer Weste da steht, aber im Hintergrund die Menschen keine Möglichkeit haben, dagegen zu klagen. Wenn also deutsche Firmen sich dort vor Ort in Konsortien engagieren, gibt es keine Möglichkeit, dass die Menschen dort klagen können. Das ist eine echte Lücke. Das haben wir im Bundestag auch schon zur Sprache gebracht und uns ist in Aussicht gestellt worden, dass es in der nächsten Legislaturperiode zu einer nationalen Umsetzung kommen soll.

domradio.de: Ende vergangenen Jahres hat die Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan "Wirtschaft und Menschenrechte" verabschiedet, das Unternehmen dazu auffordert, bei ihren Produktionsbedingungen auch im Ausland auf die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitsschutz zu achten. Sind Sie damit nicht zufrieden?

Jentgens: Dieser Nationale Aktionsplan hört sich gut an, aber wir sind damit  - wie auch andere Organisationen und Verbände in Deutschland - nicht zufrieden. Der Nationale Aktionsplan bedeutet im Kern eine Selbstverpflichtung der Unternehmen, darauf zu achten, dass die Produktion unter fairen Bedingungen abläuft. Aber es ist eben nur eine Selbstverpflichtung und die Frage der Überprüfung und der Einklagbarkeit, wenn man dagegen verstößt, ist überhaupt nicht geregelt. Wir brauchen eine Umsetzung in einklagbares Recht und da ist die ILO-Arbeitsnorm 169 ein gutes Mittel. Und wir brauchen bei dem Nationalen Aktionsplan die Stimme der Menschen, die am Anfang der Produktionskette stehen und berichten, wie das Handeln von internationalen Unternehmen bei ihnen tatsächlich wirkt.

Wir haben dem Bundestag angeboten, Menschen aus den betroffenen Regionen in Anhörungen zum Nationalen Aktionsplan zu bringen. Diese Einladung wurde auch angenommen, deshalb werden wir hoffentlich im kommenden Jahr eine interessante Überprüfung dieses Nationalen Aktionsplans haben. Ich fürchte, es wird dabei herauskommen, dass Selbstverpflichtung nicht reicht.

domradio.de: Sie nehmen das Thema "Faire Arbeit" auch in den Fokus ihrer diesjährigen Weihnachtsaktion  - worum soll es da gehen?

Jentgens: Wir wollen auf folgendes aufmerksam machen: Erstens brauchen wir auf nationaler und internationaler Ebene rechtliche Klarheit und Einklagbarkeit. Zweitens wollen wir bei den Verbrauchern in Deutschland und Europa ein Bewusstsein dafür schaffen, dass billig nicht ausreicht, damit alle Menschen gut leben können. Und drittens brauchen wir Projekte in Lateinamerika, die sich für Arbeit und Bildung engagieren. So dass Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, eine Alternative haben. Damit Sklaverei und Menschenrechtsverletzungen angezeigt werden können und faire Handelskette aufgebaut werden können, so wie wir es ja jetzt schon beispielsweise bei Schokolade oder Kaffee haben. Diese Projekte stellen wir bei der Weihnachtsaktion in den Vordergrund und wir bitten darum, dass sich die Menschen hier solidarisch mit unseren Partnern in Lateinamerika zeigen.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

 

Stephan Jentgens / © Maike Müller (KNA)
Stephan Jentgens / © Maike Müller ( KNA )
Quelle:
DR