Berliner Caritas-Direktorin über Lobby-Arbeit für Obdachlose

"Wir müssen politischen Druck machen"

Die Obdachlosenzahl in Deutschland nimmt zu und der Kirche fehlt eine nachhaltige politische Strategie für wirksame Hilfe. So sieht es die Berliner Caritasdirektorin Ulrike Kostka. Sie wünscht sich mehr politisches Engagement.

Obdachloser im Regierungsviertel in Berlin / © Kay Nietfeld (dpa)
Obdachloser im Regierungsviertel in Berlin / © Kay Nietfeld ( dpa )

domradio.de: Notfallmaßnahmen reichen nicht aus, sagen Sie und fordern eine nachhaltige politische Strategie zur Vermeidung von Obdachlosigkeit. Wie kann denn eine Strategie aussehen und wie kann die Kirche dabei helfen?

Dr. Ulrike Kostka (Vorsitzende der Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe und Berliner Caritasdirektorin): Ganz entscheidend ist, dass das Thema Wohnungslosigkeit auch auf der Bundesebene ankommt. Bislang versuchen die Länder und Kommunen einige Maßnahmen zu ergreifen, aber es muss unbedingt bundesweit betrachtet werden. Denn viele Bundesgesetze wirken sich direkt auf Menschen aus, die arm sind und die von Wohnungslosigkeit betroffen sind. Von daher sollte das Thema auch eine Rolle im Bundestagswahlkampf spielen.

Ulrike Kostka / © Markus Nowak (KNA)
Ulrike Kostka / © Markus Nowak ( KNA )

domradio.de: Sie sagen es, wir sind mitten im Bundestagswahlkampf. Über Obdachlosigkeit wird aber bei allen Parteien eher wenig gesprochen. Interessiert sich die Politik zu wenig für die Problematik?

Kostka: Einzelne Politiker interessieren sich sehr stark für das Thema und engagieren sich auch vor Ort. Aber Obdachlose sind eine Gruppe, die zwar immer größer wird, aber keine große Lobby hat. Wir als Kirche sind daher der klaren Überzeugung, dass das Thema Wohnungslose mitten in die Politik hineingehört und mehr Aufmerksamkeit braucht.

domradio.de: Nun gibt es Menschen, die wollen gar nicht in einer Wohnung leben oder sind psychisch krank. Wie kann man solchen Menschen helfen?

Kostka: Natürlich muss man sich diesen Betroffenen erst einmal ganz langsam nähern. Es gibt viele Menschen, die den Kontakt sozusagen zu sich selber und zu der Umwelt verloren haben. Die sprechen wir immer wieder an, die müssen ganz langsam wieder für ein Leben in Räumen gewonnen werden. Manche schaffen das auch gar nicht, da kommt es auf eine langfristige Beziehungsarbeit zwischen Helfer und Wohnungslosen an. Ganz entscheidend ist aber, dass die Menschen überhaupt eine Chance auf eine Wohnung haben müssen - und das ist ein großes Problem in den Städten.

domradio.de: Und wie kann die Kirche dabei helfen, dieses Problem zu lösen?

Kostka: Erstmal ist es klasse, dass die Kirche viele Initiativen für Wohnungslose hat. Viele Ehrenamtliche und Hauptamtliche engagieren sich für Wohnungslose. Aber es ist natürlich auch ganz wichtig, dass wir als Kirche und Caritas politischen Druck machen. Es sollte beispielsweise nicht nur einen Dieselgipfel geben, sondern das Thema Wohnungslosigkeit müsste auch mal im Kanzleramt besprochen werden. Denn die Bundespolitik, die EU und auch die Länderpolitik wirken sich direkt auf Menschen aus, die in dieser Situation sind. Deswegen ist es so wichtig, dass diese Gruppe wirklich aus dem Schatten kommt. Ein Problem zum Beispiel ist, dass EU-Bürger, die zu uns kommen und stranden, von staatlichen Leistungen ausgenommen sind. Das bedeutet, die fallen durch sämtliche Netze durch und es bleibt ihnen zur Versorgung nur noch die Suppenküche. Das zeigt, dass das Thema von allen politischen Ebenen in den Blick genommen werden sollte.

domradio.de: Rund 20 000 Menschen in Berlin haben keine Wohnung. Wie helfen Sie als Caritas diesen Menschen?

Kostka: Einmal versuchen wir, vielen Menschen zu helfen, dass sie ihre Wohnung erst gar nicht verlieren. Denn das ist oft das erste, dass sie Schulden haben und eine Zwangsräumung bevorsteht. Da können wir dazu beitragen, dass sie ihre Wohnung behalten. Dann helfen wir sehr vielen Frauen - Familien und alleinstehenden Frauen - eine Wohnung zu finden. Das wird aber immer schwieriger, weil auch wir als Caritas kaum noch eine Wohnung für sie finden können. Da würde ich mir wünschen, dass noch mehr kirchliche Wohnungsbaugesellschaften in Berlin investieren. Aber das allein reicht natürlich nicht aus. Wir brauchen insgesamt mehr bezahlbaren Wohnraum. Und wir müssen intensiver die Menschen direkt aufsuchen, denn oft kann man durch gute Beratung Menschen darin unterstützen, dass sie ihre Rechte auch einfordern können.

Das Interview führte Milena Furman.

Caritas Deutschland

Der Deutsche Caritasverband (DCV) ist der größte Wohlfahrtsverband Europas. Die Dachorganisation katholischer Sozialeinrichtungen setzt sich für Menschen in Not ein. Mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitern - 80 Prozent sind Frauen - ist die Caritas zudem der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Der Begriff "caritas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Nächstenliebe. Sitz des 1897 gegründeten Verbands ist Freiburg. Wichtige Bedeutung haben die Büros in Berlin und Brüssel.

Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus (KNA)
Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus ( KNA )
Quelle:
DR