Jodtabletten gegen die Angst vor dem GAU

"Das ist nichts, was nachhaltig wirken kann"

Das hat es noch nie in Deutschland gegeben: In der Region Aachen wurden am Samstag Jod-Tabletten verteilt. Für den Fall eines Atomunfalls. Aber ist es damit getan? Der Superintendent des Kirchenkreises Jülich bezweifelt das.

Jodtabletten können vor Schilddrüsenkrebs schützen / © Rainer Jensen (dpa)
Jodtabletten können vor Schilddrüsenkrebs schützen / © Rainer Jensen ( dpa )

domradio.de: Am Samstag wurden in der Region Aachen Jodtabletten verteilt. Was halten Sie von der Aktion?

Jens Sannig (Superintendent des Kirchenkreises Jülich): Ich gehe davon aus, dass das Verteilen von Jodtabletten eher zur Beruhigung dient und im Fall der Fälle keine besondere Wirkung haben kann. Der Schrecken ist in mir und in den Menschen in der Region groß, aber allen ist auch bewusst, dass Jodtabletten eher einen Placebo-Effekt haben. Das es nichts ist, was nachhaltig wirken könnte.

domradio.de: Die Politik spricht von einer reinen Vorsorgemaßnahme. Schafft das aber nicht vor allem noch mehr Verunsicherung?

Sannig: Ja, allerdings glaube ich, dass die Bevölkerung auch aufgeklärt genug ist, um zu wissen, dass Jodtabletten alleine nicht die Antwort auf die großen Risiken sind, die diese Kraftwerke mit sich bringen. Vielmehr muss nach wie vor die Forderung gelten: Abschalten - und zwar sofort.

domradio.de: Bei den Atomreaktoren Tihange und Doel wurden Tausende Risse festgestellt. Als wie real empfinden die Menschen in ihrer Region die Bedrohung durch einen Atomunfall?

Sannig: In der Region auf deutscher Seite ist die Bedrohung sehr real. Es ist schon erschreckend, dass seriöse Wissenschaftler formulieren, dass es nicht mehr nur eine Frage des Ortes ist, sondern nur eine Frage des Wann. Das hat die Menschen hier sehr hellhörig gemacht. Was mich aber gefreut hat, ist, dass mittlerweile auch die Bevölkerung in Belgien offenbar ein Gefühl dafür bekommt, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Das war mir zumindest aufgefallen bei der großen Menschenkette, an der wir im Sommer beteiligt waren. Ich würde mir wünschen, dass der Protest noch stärker würde.

domradio.de: Sie haben einen Antrag innerhalb der Evangelischen Kirche im Rheinland zur Abschaltung von Tihange und Doel initiiert. Was wollen Sie damit bewirken, wenn noch nicht mal die Bundesumweltministerin Gehör findet?

Sannig: Zumindest ist es ein Sich-solidarisch-erklären mit denen, die versuchen, auf dem politischen oder juristischen Weg eine Abschaltung herbeizuführen. Die Städteregion Aachen und die anliegenden Kreise Düren und Heinzberg, zu denen auch der Kirchenkreis Jülich gehört, versuchen auf juristischem Wege zu einem Erfolg zu kommen. Dieses Bemühen wollten wir als Kirchen unterstützen. Außerdem entspricht das unserem Selbstverständnis aus der Schöpfungsverantwortung heraus, denn es ist unverantwortlich, wenn diese beiden Kraftwerke weiter betrieben werden.

domradio.de: Wie kann man die Belgier dazu bewegen, ihre maroden AKWs abzuschalten?

Sannig: Ich hoffe, Einsicht wird sie dazu bringen und nicht erst die Katastrophe. Denn wenn es zu größeren Störfällen käme, wäre das sicher etwas, worauf die Belgier reagieren würden. Aber das wünscht sich niemand. Von daher hoffe ich, dass unsere Protestaktionen dazu führen, dass sich Widerstand auch in der belgischen Bevölkerung regen wird und dass man dort zum Umdenken kommt. Von Seiten der belgischen Atombehörde her sehe ich das aber nicht. Ich habe einen versöhnlichen Brief der belgischen Atombehörde erhalten, in dem mir versichert wurde, dass alles sicher sei und dass man keinen Grund zur Sorge hätte. Also ich denke nicht, dass die belgische Atombehörde, als Aufsichtsbehörde, etwas unternehmen würde.

Das Interview führte Christoph Paul Hartmann.


Proteste gegen Tihange  (dpa)
Proteste gegen Tihange / ( dpa )
Quelle:
DR