Risiko vor allem für Alleinerziehende- und Zuwandererfamilien

Unicef warnt vor dauerhafter Kinderarmut in Deutschland

Die meisten Kinder in Deutschland wachsen in Wohlstand auf. Abgehängt bleiben jedoch häufig Kinder von Alleinerziehenden und Zuwanderern. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef fordert mehr Teilhabe für die Betroffenen.

Eine Mutter mit ihrem Sohn / © Marcel Kusch (dpa)
Eine Mutter mit ihrem Sohn / © Marcel Kusch ( dpa )

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef warnt vor dauerhafter Kinderarmut auch in Deutschland. Zwar wüchsen die meisten Mädchen und Jungen im internationalen Vergleich in begünstigten materiellen und sozialen Verhältnissen auf, betonte der Vorsitzende von Unicef Deutschland, Jürgen Heraeus, am Donnerstag in Berlin. Dennoch gebe es ein deutlich höheres Risiko insbesondere bei Kindern von Alleinerziehenden sowie in zugewanderten Familien.

Auffällig sei eine regional sehr unterschiedliche Verteilung von relativer Kinderarmut in Deutschland, sagte der Berliner Mikrosoziologe Hans Bertram, der für Unicef eine entsprechende Analyse erstellt hat. Als Indikator für relative Kinderarmut in Deutschland gilt, wenn die Familie weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens (Medianeinkommen) zur Verfügung hat. Demnach wachsen in manchen Städten im Ruhrgebiet wie Essen oder Dortmund oder auch in Berlin zwischen 30 und 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren in Haushalten auf, die von staatlichen Transferleistungen wie Hartz IV leben. In München seien es dagegen nur zehn Prozent.

Positiver Trend in neuen Bundesländern

Auch habe sich die Situation vor allem in den neuen Bundesländern deutlich verbessert: So gebe es in Dresden nur noch 15 Prozent der Kinder, die von sozialen Transferleistungen lebten. In Leipzig habe sich der Wert in den vergangenen Jahren von 40 auf 25 Prozent verbessert, betonte der Wissenschaftler.

Den Angaben zufolge tragen Kinder von Alleinerziehenden ein doppelt so hohes Risiko, in relativer Armut aufzuwachen, wie ihre Altersgenossen in Familien mit beiden Elternteilen. Unicef verwies darauf, dass Mitte der 1990er Jahre in Deutschland rund zehn Prozent aller Kinder bei alleinerziehenden Müttern aufwuchsen, heute seien es etwa 16 Prozent. "Diesen Wandel der Lebensformen, der für einen Großteil der relativen Kinderarmut verantwortlich ist, hat Deutschland bisher familien- und steuerpolitisch noch nicht verarbeitet", kritisierte Heraeus.

Kinder aus Zuwandererfamilien häufig betroffen

Besonders häufig arm seien zudem Kinder aus zugewanderten Familien, deren Mütter selbst keine Schul- oder Berufsausbildung haben. So seien 2011 - bereits vor der verstärkten Flüchtlingszuwanderung - etwa in Essen 35 Prozent aller Kinder, deren Mütter einen Migrationshintergrund haben, von relativer Armut bedroht gewesen. In Hamburg seien es 20 und in München zehn Prozent gewesen.

"Wenn Kinder und Jugendliche erleben, dass ihre Familien völlig von staatlichen Sozialleistungen abhängen, wird ein Zukunftsbild sozialer Abhängigkeit statt Selbstständigkeit und Selbstverantwortung vermittelt", erklärte der Soziologe Bertram. Heraeus betonte: "Trotz vieler Investitionen und einer vergleichsweise guten Wirtschaftlage ist es in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die Chancen für benachteiligte Kinder deutlich zu verbessern."

Appell an Politik

Unicef fordert mehr Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden, um die Teilhabe benachteiligter Kinder zu stärken. So sollten zum Beispiel spezielle Leistungen für Familien wie etwa eine Kindergrundsicherung entwickelt werden, damit alle Kinder unabhängig von der Lebensform ihrer Eltern vor Armut geschützt werden könnten.

Spezielle Qualifizierungsangebote für Mütter und junge Frauen mit Migrationshintergrund und ohne Schul- oder Berufsausbildung seien zudem «ein Schlüssel für die Förderung und die Integration ihrer Kinder».


Hans Bertram von der Humboldt Universität Berlin / © Paul Zinken (dpa)
Hans Bertram von der Humboldt Universität Berlin / © Paul Zinken ( dpa )

Unicef-Vorsitzender Jürgen Heraeus / © Paul Zinken (dpa)
Unicef-Vorsitzender Jürgen Heraeus / © Paul Zinken ( dpa )
Quelle:
epd