Neuer Unicef-Bericht dokumentiert Leid von Minderjährigen

Kinder im Irak erleben Teufelskreis der Gewalt

Vor drei Jahren eskalierte die Gewalt im Irak erneut. "Kein Ausweg" - so heißt ein neuer Bericht des UN-Kinderhilfswerk Unicef. Er zeichnet ein düsteres Bild vom Leben der Mädchen und Jungen in dem Land.

Autor/in:
Rainer Nolte
Kinder im Irak auf der Flucht / © Maya Alleruzzo (dpa)
Kinder im Irak auf der Flucht / © Maya Alleruzzo ( dpa )

Drei Monate war Mohammed von seiner Mutter getrennt. Sie hatte ihren zwölfjährigen Sohn aus dem zwischen dem "Islamischen Staat" und Regierungstruppen umkämpften Mossul geschickt, nachdem Männer ihm ein Messer an die Kehle hielten und ihn töten wollten.

Weinend hatte sie um sein Leben gebettelt und als die Kämpfer ihn laufen ließen, organisierte sie seine Flucht. Im Unicef-Bericht "Nowhere To Go" ("Kein Ausweg") zeigt das Kinderhilfswerk auf, in welchem "Teufelskreis aus Gewalt und zunehmender Armut" die Kinder im Irak gefangen sind.

Kinder Zeugen von "unvorstellbarer Gewalt"

Im ganzen Land seien Kinder "Zeuge von blankem Horror und unvorstellbarer Gewalt", sagte der Leiter von Unicef Irak, Peter Hawkins. "Sie werden getötet, verletzt, verschleppt und gezwungen, zu schießen und zu töten. Es ist einer der brutalsten Kriege der jüngeren Vergangenheit", erklärt er anlässlich des am Donnerstag veröffentlichten Berichtes.

Rund drei Jahre nach der Eskalation der Gewalt im Irak dokumentiert das Kinderhilfswerk in dem Report das Leid der Kinder. Seit 2014 wurden demnach 1.075 Kinder getötet und 1.130 verletzt oder verstümmelt. Über 4.650 Mädchen und Jungen seien von ihren Familien getrennt worden oder unbegleitet auf der Flucht.

Im Mohammads Heimatstadt Mossul werden laut Unicef Kinder bewusst ins Visier genommen und getötet, um Familien zu bestrafen und sie von der Flucht abzuhalten. In weniger als zwei Monaten seien allein in West-Mossul mindestens 23 Kinder getötet und 123 weitere verletzt worden. Auch als der Zwölfjährige mit seinem Cousin die Stadt verlassen wollte, wurde auf ihn geschossen, berichtet er.

Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser

Doch auch außerhalb Mossul geht das Leid weiter. Im ganzen Land gab es laut Bericht 138 Angriffe auf Schulen und 58 auf Krankenhäuser. Die Hälfte aller Schulen im Irak seien inzwischen reparaturbedürftig. 1,2 Millionen Kinder gehen demzufolge nicht zum Unterricht und drei Millionen weitere Mädchen und Jungen besuchen sie nur unregelmäßig.

Fares ist einer von ihnen. "Ich wünschte, ich könnte zurück zur Schule, aber meine Familie hat sonst niemanden, der sie unterstützt", so der Zwölfjährige aus der Hauptstadt Bagdad.

Mehr als fünf Millionen Kinder und Jugendliche benötigten dem Report zufolge humanitäre Hilfe. Jedes vierte Kind komme mittlerweile aus einem armen Haushalt. "Ich möchte nicht wirklich zurück zur Schule gehen, weil ich der einzige bin, der Arbeit hat", erklärt Hussein, der 15 Familienmitglieder mit versorgt.

Das Leben im Irak wird seit fast vier Jahrzehnten von Gewalt, Krieg, Sanktionen und Instabilität geprägt. Allein in den vergangenen drei Jahren hat der Konflikt laut UN-Kinderhilfswerk drei Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben - die Hälfte von ihnen Minderjährige. Rund 800.000 Kinder haben demnach ein oder beide Elternteile verloren.

Humanitäre Hilfe gefordert

Unicef fordert angesichts der anhaltenden Gewalt ein Ende des Konfliktes und ungehinderten Zugang der Kinder zu humanitärer Hilfe.

Alle schweren Kinderrechtsverletzungen, "einschließlich der Tötung, Verstümmelung und Rekrutierung von Kindern" sowie die Angriffe auf zivile Infrastruktur müssten unverzüglich aufhören. Mädchen und Jungen, die sich in Haft befinden, bräuchten Zugang zu rechtlichem Beistand.

Zudem drängt die Organisation auf verlässliche Unterstützung der Menschen in Not. Für das laufende Jahr klaffe eine Finanzierungslücke von 100 Millionen US-Dollar.

Mohammed erhielt nach ungewissen drei Monaten die erlösende Nachricht. "Ich konnte nicht schlafen, weil ich immer an meine Familie denken musste", erzählt er. Dann rief ihn sein Onkel an und sagte ihm, dass seine Mutter auch geflüchtet und sicher in einem anderen Camp untergekommen sei. Helfer hätten die beiden dann wieder vereint.


Quelle:
KNA