Von der Industrialisierung bis zum Friedensnobelpreis für die EU

Europas Geschichte in einem Museum

Was haben eine Kinderschwimmweste, ein Kleinwagen aus Jugoslawien und die erste deutsche Verfassung gemeinsam? Sie erzählen einen Moment aus Europas Vergangenheit. An diesem Samstag öffnet das Haus der Europäischen Geschichte.

Autor/in:
Franziska Broich
Großes historisches Ereignis für Europa: Mauerfall in Berlin / © DB (dpa)
Großes historisches Ereignis für Europa: Mauerfall in Berlin / © DB ( dpa )

Ruhig und zufrieden sitzt der frühere EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering im vierten Stock des Hauses der Europäischen Geschichte in Brüssel. Zehn Jahre liegt seine Präsidentschaft zurück. Mittlerweile ist er kein Abgeordneter mehr.

Vier Meter neben ihm steht ein weißer Kleinwagen aus der Nachkriegszeit - Zastava 750, im Volksmund auch Fico genannt. Dahinter hängen bunte Plakate auf Spanisch, Deutsch und Italienisch. Im Hintergrund läuft ein Film mit Schwarz-Weiß-Bildern von Schulunterricht aus den 50er Jahren.

Idee stammt von Pöttering

Am Donnerstag wurde das Haus der Europäischen Geschichte feierlich eröffnet. Die Idee stammte von Pöttering. In seiner Antrittsrede als Parlamentspräsident stellte er sie vor. Es sei das schwierigste Projekt in seinem politischen Leben gewesen, sagt er. Nun sei es ein "Ergebnis europäischer Zusammenarbeit".

Konzipiert wurde die Ausstellung von zehn Kuratoren aus acht Ländern. Sie überlegten, wie man die Geschichte Europas vom 19. Jahrhundert bis heute am besten darstellen könne. Europa sei das Produkt eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Ideen und Entwicklungen, erklärt eine der Kuratorinnen. Zentral für die Ausstellung sei, wie die Kultur Europa geprägt habe. Besonders Momente der Geschichte, bei denen nationale Grenzen überschritten wurden, sollen gezeigt werden.

Mythos Europa

Die Ausstellung beginnt mit dem Mythos Europas. Bilder des Buchs "Das Kapital" von Marx wechseln sich mit einem Exemplar der ersten deutschen Verfassung von 1849 ab und leiten über zur Industrialisierung Europas. Nach den zwei Weltkriegen widmet sich die dritte Etage Europas Teilung durch den Eisernen Vorhang und der Entwicklung der Europäischen Union. Kurze Filmsequenzen, Bilder oder Geschichten zum Anhören machen des Geschehen lebendig.

Ein Ausstellungsstück ist Pöttering nach dem ersten Besuch besonders in Erinnerung geblieben: ein Pullover mit zwei schwarzen Einschusslöchern. Er gehörte Radu Ionescu. Der 17-Jährige trug den Pullover, als er 1989 gegen Rumäniens Diktator Nicolae Ceausescu in Bukarest demonstrierte - und erschossen wurde. Seine Mutter bewahrte den Pulli auf und stellte ihn nun dem Haus der Europäischen Geschichte zur Verfügung. "Wenn man solche Einzelbeispiele sieht, ist das sehr bewegend", sagt Pöttering. Es sei ein Ausdruck jener Tragödien, die Europa erlebt habe.

Eine dieser Tragödien ist auch die Ölkrise der 70er Jahre. Sie ist im vierten Stock in Bildern dargestellt. Dort geht es auch um Konsum, Bildung und gesellschaftliche Aufbrüche in der Nachkriegszeit.

Plakate zeigen, wofür man damals demonstrierte. "Rettet die Nordsee" hängt neben einem spanischen "Atomkraft, nein danke"-Banner. Die Bewegungen hätten oft zeitgleich in vielen europäischen Ländern stattgefunden, so eine der Kuratorinnen. Sie seien als "Slogans der Zeit" zu verstehen.

Daneben ist ein Tintenlöscher ausgestellt. Mit ihm wurden die Unterschriften unter der Schlussakte von Helsinki 1975 getrocknet. Die Akte ist ein Synonym für das Streben nach Befreiung von politischer Repression in Europa. Mit ihr wurden die Grenzen der Nachkriegsordnung akzeptiert und die Achtung der Menschenrechte verabredet. Den Tintenlöscher erhielten die Kuratoren durch persönliche Kontakte. Ein Mitarbeiter der Institutionen hatte ihn als Erinnerung aufbewahrt.

Zeitgeschichte

Im fünften und sechsten Stock geht es die Zeitgeschichte. Eine Kinderschwimmweste steht für die Einsätze der EU-Agentur Frontex im Mittelmeer. In den vergangenen Jahren kamen stetig mehr Menschen von der afrikanischen Küste in kleinen Booten nach Europa. Gleich daneben erinnern Bilder und eine Medaille an den Moment, als die EU 2012 den Friedensnobelpreis erhielt.

Verbunden wird die Dauerausstellung, die sich über sechs Stockwerke und 4.000 Quadratmeter erstreckt, durch einen silbernen Wirbel aus Zitaten - den "Vortex europäischer Geschichte". Dieser Wirbel, der sich wie eine Zimmerpflanze durch das Gebäude rankt, wurde für das Museum angefertigt. In jeder Etage befinden sich Zitate des Wirbels.

Eines der letzten Zitate der Ausstellung stammt von dem Schweizer Dichter Adolf Muschg: "Was Europa zusammenhält und was es trennt, ist das gemeinsame Gedächtnis."


Quelle:
KNA