Sozialverbände schlagen beim Thema Obdachlosigkeit Alarm

In Hamburg fehlt "ein städtischer Masterplan"

Seit Ende März lässt Hamburg Obdachlose in der Innenstadt morgens wecken, Vertreibungen von öffentlichen Plätzen nehmen zu. Die Stadt hat Erklärungen für ihr Vorgehen, die Wohnungslosen selbst haben eigene Theorien.

Obdachlosen-Schlafplatz in Hamburg / © Bodo Marks (dpa)
Obdachlosen-Schlafplatz in Hamburg / © Bodo Marks ( dpa )

Die Zeit, sagen die Männer, stehe gegen sie. Maribo, Stello und Käthe - so nennen sich die Obdachlosen, die auf einer Bank in der Hamburger Innenstadt schon nachmittags Bier und Wodka, gemischt mit Limonade, trinken. Manchem fällt das Sprechen schon schwer, auch die Stimmung untereinander kocht schnell hoch. "Wir sind saubere Menschen", sagt der junge Käthe, ein Mittdreißiger.

Sie gingen arbeiten, verdienten aber gerade einmal 1.000 Euro im Monat, allein die Miete koste 400 Euro, die Verhältnisse seien "pervers". Am Morgen, erzählt einer von ihnen, kämen nun regelmäßig um sechs Uhr Leute und weckten alle, die in den Eingängen der Geschäfte ringsum schliefen. Es scheine, als sei das Vorgehen gegen Obdachlose in der Stadt schärfer geworden. Möglicherweise habe das mit dem im Sommer stattfindenden G20-Gipfel zu tun.

Bezirksamt hat Obdachlose zum Gehen aufgefordert

In der Tat hat das Bezirksamt Hamburg-Mitte Ende März eine Aktion gestartet, Obdachlose in den Hauseingängen am Glockengießerwall und in der Mönckebergstraße, einer der wichtigsten Einkaufsmeilen der Hansestadt, zu wecken und zum Gehen aufzufordern. Die Situation sei nicht länger tolerierbar, hatte der Bezirksamtsleiter zuvor mitgeteilt. Es habe Beschwerden von Mitarbeitern der Kaufhäuser gegeben, dass Personaleingänge auch als Toiletten benutzt würden.

Hinter den Verunreinigungen steckten hauptsächlich rumänische und bulgarische Familien. Die Aktion sei daher "nichts gegen Obdachlose speziell", wie Bezirksamtssprecherin Sorina Weiland auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mitteilt. Etwa 20 bis 30 Menschen würden im Moment jeden Morgen geweckt.

Wütende Sätze über Osteuropäer

Die "Polen" und "Zigeuner" würden alles kaputt machen, sagt Maribo, der schon seit 25 Jahren auf der Straße lebt. Wer sich mit Straßenbewohnern in Hamburg unterhält, hört seit Jahren immer wieder wütende Sätze, die sich auf Zuwanderer aus Südost- und Osteuropa beziehen. Seine "Platte" dreckig zu hinterlassen gehöre sich einfach nicht, betonen viele immer wieder.

Laut Hamburgs Sozialbehörde sind derzeit 3.405 Wohnungslos in Notunterkünften. Sozialverbände gehen davon aus, dass darüber hinaus rund 2.000 Menschen auf den Straßen übernachten. In diesen Tagen endet auch das Winternotprogramm, das die Stadt jedes Jahr für Obdachlose anbietet. Es überbrücke zwar die kalte Jahreszeit, verbessere aber nicht nachhaltig die Situation Obdachloser, erklärt Michael Edele, stellvertretender Vorsitzender der Hamburger Caritas.

Verteibung ist keine Lösung

"Es fehlt ein städtischer Masterplan, um Obdachlosigkeit in der Stadt strukturell zu bekämpfen." Temporäre Angebote wie das Winternotprogramm "und die Vertreibung obdachloser Menschen sind mit Sicherheit keine Lösung". Die Diakonie Hamburg lehnt die Vertreibung ebenso ab. Übernachten im Freien sei Ausdruck großer Not, so Fachbereichsleiter Dirk Hauer.

"Die Vertreibung löst keine Probleme, sie beseitigt Obdachlosigkeit nicht." Notwendig seien genügend Unterkünfte mit akzeptablen Standard und mehr Wohnraum für Wohnungslose. Auch Bettina Reuter von der Ambulanten Hilfe Hamburg bestätigt ein frostigeres Klima für Obdachlose. Zudem gebe es eine latente Konkurrenz zwischen Obdachlosen und Flüchtlingen. Sie unterstützt die Forderung nach einem Masterplan.

1.500 Plätze für wohnungslose Menschen gelant

Marcel Schweitzer von der Sozialbehörde weist das zurück. Der Zentrale Koordinierungsstab Flüchtlinge habe für 2017 zusätzliche 1.500 Plätze für wohnungslose Menschen eingeplant. Seit vorigem Jahr würden wohnungs- und obdachlose Menschen mit Flüchtlingen öffentlich-rechtlich untergebracht. Der Ausbau der Platzkapazität komme also "Obdachlosen und Geflüchteten zu Gute".

Die Weckaktion des Bezirks Mitte will Schweitzer ausdrücklich nicht kommentieren. Sie diene zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und sei auf zwei Großfamilien begrenzt. Zuvor habe eine "aufsuchende Beratung" stattgefunden, die aber wirkungslos geblieben sei. Unterdessen sitzen Maribo, Stello und Käthe noch immer auf ihrer Bank in der Innenstadt. Plötzlich tauchen drei Polizisten auf und fordern die Gruppe auf, die Sitzplätze zu räumen: Auch andere wollten mal Platz nehmen, begründen die Beamten. Wortlos ziehen die drei ab.

Von Frank Berno Timm


Quelle:
KNA