Pflegekräfte wollen lauter und selbstbewusster werden

"Wir sind einfach zu brav"

Mehr Selbstbewusstsein, mehr Selbstbestimmung: Die 1,2 Millionen Pflegenden wollen stärker Position beziehen und ihre Interessen lauter vertreten. Angesicht des demografischen Wandels verspüren sie Rückenwind.

Pflegeausbildung wird reformiert / © Benedikt Plesker (KNA)
Pflegeausbildung wird reformiert / © Benedikt Plesker ( KNA )

"Wer seine Stimme nicht laut erhebt, muss sich nicht wundern, wenn er kein Gehör findet." Der frühere Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) formuliert es drastisch. Während die Ärzte ihre Interessen im Gesundheitswesen sehr erfolgreich durchgesetzt und unter anderem hohe Lohnsteigerungen erzielt hätten, habe die Pflege bislang keine starke Stimme gehabt.

Auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), erklärte beim am Samstag zu Ende gehenden Deutschen Pflegetag in Berlin, die mit 1,2 Millionen Mitarbeitern größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen müsse ihre Interessen stärker vertreten. "Überall wo in Deutschland über Pflege entschieden wird, sitzt die Pflege nicht mit am Tisch", sagte er. Über Jahrzehnte hätten die Krankenhäuser auf Kosten der Pflege gespart, während die Ärzte hohe Tariferhöhungen erkämpft hätten. Und eine Besucherin des Branchentreffens ergänzte:

Wichtiges Wahlthema

"Wir Pflegende sind einfach zu brav und zu angepasst. Wir erfüllen unsere Pflicht und wehren uns nicht." Andreas Westerfellhaus will das im Jahr der Bundestagswahl ändern: "Wir halten nicht länger die Wange hin", sagte der Präsident des Deutschen Pflegerats in einer kämpferischen Grundsatzrede. "Wir werden unser Schicksal selbst in die Hand nehmen." Für 43 Prozent der Bürger sei das Thema Pflege sehr wichtig bei ihrer Wahlentscheidung, zitiert er aus einer aktuellen Umfrage des Zentrums für Qualität in der Pflege. 71 Prozent halten danach die Arbeitsbedingungen in der Pflege für am dringendsten verbesserungsbedürftig.

Westerfellhaus fordert bessere Arbeitsbedingungen, mehr politischen Einfluss und mehr Selbstbestimmung für die Pflegenden. Nach den Worten des 60-Jährigen sind es starke Lobbygruppen, die den Einfluss der Berufsgruppe klein halten wollen: Ärzte, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. "Manches Mal scheint die Pflege behandelt zu werden wie Frauen vor 100 Jahren: kein Wahlrecht, keine Mitsprache, keine Lobby." Jahrelang sei an der Pflege gespart worden. "Wir waren willkürliche Verfügungsmasse für eine scheinbare Kostenreduktion."

Der gelernte Krankenpfleger lobte die Pflegereformen der Bundesregierung. In Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und dem Pflegebeauftragten Laumann (beide CDU) sieht er Verbündete. Alle Reformen nützten aber nichts, wenn der Mangel an Fachpersonal in der Alten- und Krankenpflege nicht behoben werde.

Aufstiegsmöglichkeiten und attraktive Arbeitsfelder anbieten

Angesichts eines drohenden Pflegenotstandes müsse es das Ziel sein, den Pflegeberuf durch Aufstiegsmöglichkeiten, attraktive Arbeitsfelder, feste Personalschlüssel und gute Bezahlung attraktiver zu machen. Derzeit stünden die Pflegenden unter ständig zunehmendem Leistungsdruck. Ausfallzeiten und Berufsflucht nähmen zu. In manchen Krankenhäusern gebe es 80 offene Stellen in der Pflege. Es gebe viel zu wenig Zeit für Gespräche, Beziehungsarbeit oder Sterbebegleitung.

"Wir sind keine Lückenbüßer und kein Assistenzberuf", so der Pflegeratschef. "Wir sind eine eigene selbstbewusste Profession und wollen auf Augenhöhe mit Gewerkschaften und Arbeitgebern sein." Als zentral bezeichnete er dafür die Gründung von Landespflegekammern, die die Belange der Berufsgruppe in Selbstverwaltung regeln könnten.

Eine mögliche Bündnispartnerin könnte die neue Berliner Senatorin für Gesundheit und Pflege, Dilek Kolat (SPD), sein. Erstmals gebe es im Berliner Senat eine eigene Struktur für Pflege, sagte sie. "Das Thema Pflege ist für uns ein zentrales politisches Schwerpunktthema." Berlin ist nach der Analyse der Senatorin ein Brennpunkt für die Pflegethematik. "Der Anteil der Menschen über 80 wird sich verdoppeln", sagte sie. Es gebe überdurchschnittlich viele Single-Haushalte, viele Migranten. "Berlin wird ein Motor auf diesem Politikfeld sein."


In einem Pflegeheim / © Angelika Warmuth (dpa)
In einem Pflegeheim / © Angelika Warmuth ( dpa )
Quelle:
KNA