Adveniat zur Gewaltwelle nach Polizeistreik in Brasilien

"Es war zu befürchten"

Ein Polizeistreik in Brasilien hat zu einer beispiellosen Gewaltserie im Bundesstaat Espirito Santo geführt. Laut Medienberichten kam es zu über hundert Morden. Dass die Lage eskaliert, sei zu erwarten gewesen, sagt Klemens Paffhausen von Adveniat.

Ein Streik der Polizei in der brasilianischen Großstadt Vitória hat zu einer Welle der Gewalt geführt. / © Tânia Rêgo (dpa)
Ein Streik der Polizei in der brasilianischen Großstadt Vitória hat zu einer Welle der Gewalt geführt. / © Tânia Rêgo ( dpa )

domradio.de: Können Sie etwas sagen zur aktuellen Situation in Espirito Santo?

Klemens Paffhausen (Lateinamerika-Hilfswerk der Katholiken in Deutschland, Adveniat): Ja, die Situation hat sich sehr zugespitzt. Nachdem viele Polizisten nicht mehr ihrem Dienst nachgekommen sind oder daran gehindert wurden, haben Plünderungen und Unsicherheiten zugenommen. Übergriffe haben das Land in Angst und Schrecken versetzt. Es ist davon auszugehen, dass es nicht nur auf den Bundesstaat Espirito Santo beschränkt bleibt, sondern auch auf andere Bundesstaaten, insbesondere den Nachbarbundesstaat Rio de Janeiro, übergreifen könnte.

Es war seit langem zu befürchten, dass die Sicherheitslage kippen könnte, wenn einmal das große Interesse in Rio abebbt. Nachdem also Olympia und die Weltmeisterschaft vorbei waren, ist Rio aus dem Blick der Weltöffentlichkeit gerutscht. Zu der Zeit wurden die Drogenbosse ferngehalten. Danach war zu beobachten, dass insbesondere die Drogenbosse sich wieder aufmachen und für Angst und Schrecken sorgen.

domradio.de: Die brasilianische Regierung hat jetzt Militär in die vom Polizistenstreik betroffene Küstenstadt Vitoria entsandt. 1.200 Soldaten - wie können die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung beitragen?

Paffhausen: Allein eine solche Maßnahme zeigt schon, wie gravierend die Situation vor Ort ist. Der Einsatz von Soldaten ist immer problematisch - gerade auch in einem Land wie Brasilien, dessen Militärdiktatur ja noch nicht lange zurückliegt.

Diese Maßnahmen zeigen aber auch, wie sehr der Staat in die Bredouille gekommen ist, sein Gewaltmonopols aufrecht zu erhalten.

domradio.de: Die Polizisten fordern Gehaltserhöhungen und die Auszahlung ihnen zustehender Sonderzahlungen. Wieso sind sie so schlecht bezahlt?

Paffhausen: Die chronische Unterbezahlung der Polizisten, aber auch öffentlicher Angestellter ist ein Thema, das nicht nur in Brasilien, sondern in ganz Lateinamerika zu beklagen ist. Das gleiche gilt aber auch für die Bereiche Bildung und Gesundheit. Hier sind die Menschen ebenfalls chronisch unterbezahlt. Leider hat sich in den nicht mal so lange zurück liegenden wirtschaftlichen Aufschwungsjahren Brasiliens nicht viel geändert. Wir konnten beobachten, dass gerade Sicherheitsleute und Polizisten immer wieder für Korruption anfällig waren, oder selber in mafiöse Strukturen verstrickt wurden.

domradio.de: Was droht den Polizisten jetzt?

Paffhausen: Also ganz abschätzen lässt sich das noch nicht. Man muss auch vorsichtig sein, wenn man von einem Polizistenstreik spricht. Streng genommen ist ein Streik verboten und kann mit Gefängnisstrafen von bis zu 20 Jahren bestraft werden.

domradio.de: Ohne die Polizeipatrouillen ist in dem Teilstaat das Chaos ausgebrochen. Es gab Plünderungen von Geschäften und Shopping-Centern, Busse wurden angezündet, Passanten auf offener Straße überfallen. Sicherheitsexperten gehen von einem drastischen Anstieg der Mordrate aus. Gibt es für Adveniat irgendeine Möglichkeit, in diesem Chaos einzugreifen?

Paffhausen: Direkte Eingriffsmöglichkeiten eines Hilfswerks wie Adveniat sind in einer solchen angespannten Sicherheitslage äußerst schwierig. Adveniat wird aber bei der Unterstützung bewehrter Maßnahmen bleiben, z.B. in Bereichen wie Bildung und Gesundheit. Dort kann Adveniat helfen. Die Sicherheit wird sicherlich der Staat selber aufrechterhalten müssen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Mord nach Polizeistreik in Vitoria - Brasilien / © Diego Herculano (dpa)
Mord nach Polizeistreik in Vitoria - Brasilien / © Diego Herculano ( dpa )
Quelle:
DR