Historiker über adventliche und ganzjährige Hilfsbereitschaft

"Helfen kann auch Spaß machen"

Als im vergangenen Jahr hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, halfen spontan zahllose Menschen. Diese "Willkommenskultur" wurde später kritisiert und für beendet erklärt - zu Unrecht, meint der Historiker Tillmann Bendikowski.

"Helfen kann auch Spaß machen", sagt Historiker Tillmann Bendikowski / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
"Helfen kann auch Spaß machen", sagt Historiker Tillmann Bendikowski / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

KNA: Ihr Buch "Helfen. Warum wir für andere da sind" ist unlängst erschienen. Herr Bendikowski, im Advent helfen und spenden die Deutschen besonders viel. Woher kommt dieser Impuls?

Bendikowski: Das ist naheliegend - das nahe Weihnachtsfest öffnet nicht nur die Herzen, sondern auch die Geldbörsen. Über 20 Prozent der jährlichen Spenden werden für den Dezember verzeichnet. Aber auch über das Jahr hinweg gilt, dass es in Deutschland eine ausgeprägte Kultur des Spendens gibt.

KNA: Wie wichtig ist der christliche Gedanke grundsätzlich für das Helfen?

Bendikowski: Die christliche Hilfsbereitschaft, basierend vor allem auf der Geschichte vom barmherzigen Samariter, ist in der Tradition des Helfens kaum zu unterschätzen. Bis heute ist dieses christliche Motiv der tätigen Nächstenliebe eine der Säulen der deutschen Kultur des Helfens - in Form der Barmherzigkeit. Man kann diese Motivation kaum überschätzen.

KNA: Sind auch schwindende Mitgliederzahlen der Kirchen keine Gefahr für das Helfen?

Bendikowski: Es gibt schon seit dem 18. Jahrhundert eine nicht-kirchlich motivierte Hilfe. Denken Sie an die Philanthropie, die wohltätigen Damen, die es immer schon gab. Wir haben also zusätzlich eine Tradition, die nicht religiös gespeist ist. Deshalb müssen wir keine Sorge haben, dass mit einem Bedeutungsverlust der Kirchen so etwas wie eine Erosion der Hilfsbereitschaft einhergeht.

KNA: Wie ist Ihre Idee entstanden, die Geschichte des Helfens in einem Buch zu beleuchten?

Bendikowski: Den Anlass bildete die unerwartete Hilfsbereitschaft gegenüber den Flüchtlingen, die nach Deutschland kamen. Es war eine überraschende Erkenntnis, dass die Deutschen so hilfsbereit sind. Vor allem galt das übrigens für die Jüngeren. Sie haben die sogenannte Willkommenskultur geprägt.

KNA: In diesem Jahr war viel die Rede vom "Ende der Willkommenskultur". Wie hilfsbereit sind die Deutschen tatsächlich?

Bendikowski: Überraschend hilfsbereit - und auf erstaunliche Art unideologisch. Viele Ehrenamtliche gingen die Herausforderung nicht politisch an, sondern sahen den Nächsten in der Not und schritten zur Hilfe. Das ist Helfen in seiner geradezu ursprünglichen, tief menschlichen Motivation.

KNA: Gestritten wird dagegen über einen Rückzug des Sozialstaats. Wie bewerten Sie dies?

Bendikowski: Der Sozialstaat wird sich verändern: Er wird einen Teil seiner Hilfszuständigkeit delegieren an die einzelnen Menschen, an die Bürgergesellschaft. Ehrenamtliche müssen vermehrt einspringen.

Das ist ein Strukturwandel, den wir nicht mit Sorge betrachten müssen, solange das Ehrenamt eine stabile Größe ist. Entgegen aller Befürchtungen befindet sich das Ehrenamt nicht in der Krise. Insofern darf man guter Hoffnung sein, dass auch die Veränderungen des Sozialstaates durch dieses Engagement abgefedert werden.

KNA: Was sagen Sie, wenn von "Gutmenschen" die Rede ist?

Bendikowski: "Gutmensch", das Unwort des Jahres 2015, ist in den vergangenen anderthalb Jahren zu einem Schimpfwort geworden. Es ist eine Beschimpfung vor allem der Flüchtlingshelfer; Toleranz und Hilfsbereitschaft werden pauschal als naiv, dumm oder weltfremd denunziert. Damit wird das Helfen selbst verunglimpft. "Gutmensch" ist ein Kampfbegriff, dem wir politisch und sprachlich energisch entgegentreten müssen.

KNA: Warum gibt es so viel Kritik am Helfen?

Bendikowski: Der Vorgang des Helfens steht eigentlich immer unter Beobachtung - die Motive des Helfers werden stets von Dritten in den Blick genommen. Warum hilft der andere? Ist er auf irgendeinen Vorteil auf? Das ist eine Haltung, von der sich kaum jemand frei machen kann: Wo geholfen wird, wird das Helfen immer auch kommentiert. Oft gerecht, häufig aber auch ungerecht.

KNA: Welche Rolle spielen die Medien?

Bendikowski: Wie für andere Themen gilt auch hier: Berichte über Vorbilder und gelungene Hilfe spornt zur eigenen Hilfsbereitschaft an. Wer etwa viele Berichte über Rupert Neudeck und seine großartige Hilfe für Bootsflüchtlinge sieht und hört, mag daraus selbst den Mut zum Eingreifen schöpfen.

KNA: Welche Entwicklung erwarten Sie künftig für die Familie, die Sie als "ersten Ort des Helfens" benennen?

Bendikowski: Die Familie ist gewissermaßen die Schule des Helfens.

Hier wird das Helfen eingeübt; Eltern, Großeltern und Nachbarschaft leben es den Kindern vor. Der Strukturwandel der Familie wird also auch zu einem Strukturwandel des Helfens führen. Das Ergebnis ist offen. Allerdings ist der Strukturwandel der Familie nicht das Ende von familiärem Erleben. Es gibt neue Strukturen wie Patchwork-Familien, in denen das Helfen ebenfalls seinen festen Platz haben wird. Das Helfen wird sich verändern, aber nicht verschwinden.

KNA: Gibt es dennoch Grenzen der Hilfe?

Bendikowski: Selbstverständlich - und zum Glück. Da sind zunächst die persönlichen Grenzen des Helfens; niemand kann ohne Limit für andere da sein. Wir kennen das vor allem aus dem Alltag der helfenden Berufe etwa in Krankenhäusern und Altenheimen: Es gibt eine Belastungsgrenze für jeden Helfer, die es unbedingt zu respektieren gilt. Auch das kollektive Helfen hat immer Grenzen - notwendigerweise. Nehmen wir den Sozialstaat: Auch der muss zwangsläufig immer wieder die Grenzen des Helfens definieren; das mag nicht angenehm sein, ist aber notwendig.

KNA: Wenn jemand noch zögert, ein Ehrenamt anzunehmen: Was bringt es einem selbst, zu helfen?

Bendikowski: Das muss selbstverständlich jeder mit sich selbst ausmachen. Aber die meisten Ehrenamtlichen im Lande werden Ihnen bestätigen: Helfen kann auch Spaß machen. Und das darf es auch!

Das Interview führten Paula Konersmann und Sabine Just.


Quelle:
KNA