Dietrich Grönemeyer für ein anderes Miteinander

"Vom Ich zum Du"

Eine Gesellschaft, die isoliert, schürt die Ängst der Menschen und macht sie krank. Damit sie wieder zueinander finden, bedarf es einer ordentlichen Prise Mut, erklärt der Mediziner und Autor Dietrich Grönemeyer in seinem Buch "Mut zum Miteinander."

Vertrauen schenken (dpa)
Vertrauen schenken / ( dpa )

domradio.de: Wieso braucht es "Mut", um miteinander zu leben?

Prof. Dietrich Grönemeyer (Mediziner und Autor): Wir Menschen geraten immer mehr in Isolation und ziehen uns zurück. Besonders in Europa sind die größten Krankheitsarten mittlerweile Burnout und Depressionen. Wir sind in den Städten, aber auch auf dem Land zunehmend isoliert. Immer mehr ältere Menschen leben ganz alleine und deswegen nimmt auch die Angst zu. Die Angst vor dem Neuen, die Angst vor der Zukunft und auch die Angst, dass man immer mehr verarmt.

domradio.de: Jetzt befassen Sie sich als Arzt und Autor schon länger mit den Themen. Ist die Isolation denn etwas, was in den letzten Jahren zunimmt?  

Grönemeyer: Ich erlebe als Arzt, der jedem Menschen gleich begegnet, egal aus welcher Schicht oder Religionsgemeinschaft er kommt oder welche politische Einstellung er hat, dass die Menschen zunehmend psychosomatisch krank sind. Ich bin der Rückenspezialist und erlebe, wie die Haltung abnimmt, die Haltung zu sich selbst, aber auch die Haltung zum Leben an sich. Wenn man mal ins Englische guckt, da bedeutet Haltung auch Rückgrat. Ich sehe, dass Menschen immer mehr gebeugt sind und immer mehr Bandscheibenvorfälle haben, weil sie unter der Angst, der Last, unter dem Mobbing und eben unter der Zukunft fast zerbrechen. Eine gesunde Haltung kann nur wieder gegeben werden, wenn wir als Menschen immer mehr angstfrei aufeinander zugehen.

domradio.de: Das heißt, psychosomatische Probleme manifestieren sich dann auch körperlich?

Grönemeyer: Sie manifestieren sich im Rücken und im Herzen, sodass zum Beispiel Herzerkrankungen zunehmen. Das Herz ist nicht nur eine Pumpe, sondern auch ein fühlendes Organ. Sie manifestieren sich im Gehirn. Folglich schalten wir ab und werden immer vergesslicher. Wenn wir diese Zusammenhänge nicht begreifen und auch nicht fühlen, werden immer mehr Menschen chronisch krank werden. Auch da sage ich wieder: Es ist entscheidend, dass der Andere das auch bemerkt, sozusagen "vom Ich zum Du".

domradio.de: Kann den Menschen auch eine Spiritualität, ein Glaube bei dem Aufrichten helfen?

Grönemeyer: Das ist auch das Verrückte und Traurige in unserer Zeit. Wir empfinden uns nicht mehr als spirituelle Wesen, sondern wir empfinden uns als Marionetten eines Systems, was wir nicht durchschauen und haben gerade aus diesem Grunde ganz viel Angst. Aber wir sind alle spirituell und jeder von uns glaubt, selbst der Atheist glaubt. Er glaubt an die Kraft der Natur. Wir können uns auf ein gemeinsames Ganzes zurückbesinnen, auf unseren Schöpfer, der uns letztendlich trägt. 

Wir entscheiden nicht, wann wir kommen und wann wir gehen. Mein Bruder ist an Allerheiligen gestorben und ich musste demütig erkennen, dass nicht ich entscheide und auch nicht er oder wir alle, wann er geht, sondern es ist geschehen und er wurde mit Liebe getragen.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.


Dietrich Grönemeyer  / © Fritz Stark (epd)
Dietrich Grönemeyer / © Fritz Stark ( epd )
Quelle:
DR