Manifest gegen die Verrohung der Sprache

"Ich sehe uns alle in der Verantwortung"

Der Ton auf vielen deutschen Schulhöfen ist oft ziemlich rau. Die Schüler werfen mit heftigen Schimpfworten um sich. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband hat im domradio.de-Interview erzählt, was dagegen getan werden kann.

Auf dem Schulhof fallen oft heftige Schimpfworte / © Jan Woitas (dpa)
Auf dem Schulhof fallen oft heftige Schimpfworte / © Jan Woitas ( dpa )

domradio.de: Seit wann stellen Sie denn fest, dass dort so eine Verrohung der Sprache speziell auch bei Kindern und Jugendlichen stattfindet?

Simone Fleischmann (Präsidentin des Bayrischen Lehrerinnen und Lehrerverbandes): Wir erleben als Lehrerinnen und Lehrer, dass die Gesellschaft sich in unserer Schule spiegelt. Seitdem wir die drei Wörter der Kanzlerin - "Wir schaffen das" - in der politischen Ebene diskutieren hören und erleben wir auch, dass Kinder in der Schule Dinge nachsagen und  Jugendliche Parolen nachsprechen. Das führt dann oft auch zu Verletzungen unter den Schülern, aber auch in Richtung der Lehrerinnen und Lehrern.

domradio.de: "Du Opfer", "du Spasti" oder "du Asylant" – das sind nur einige Beispiele von Ausdrücken, die man auf den Schulhöfen hören kann. Wie äußert sich die Verrohung der Sprache noch?

Fleischmann: Ja also wir müssen einmal sehen, dass Jugendliche und Kinder oftmals - wenn ich es mal so flapsig formulieren darf - nachsprechen was Ihnen andere Vorsprechen. Modell lernen [Lernvorgänge verstehen, die auf der Beobachtung des Verhaltens von menschlichen Vorbildern beruhen -  Anm. d. R.] funktioniert schon bei den Kleinsten. Wenn wir uns jetzt anhören, dass in der politischen Diskussion zum Beispiel, einfach mal so schnell gesagt wird: Da haut die eine Partei auf die andere Partei drauf. Diese Hau-drauf-Mentalität. Dann führt das bei Kindern, die zum Beispiel auf dem Pausenhof einen Konflikt zu bewältigen haben, dazu, aus den Worten Handlung folgen zu lassen. Sie hauen drauf auf den anderen. Und das macht uns als Lehrerinnen und Lehrern Angst, dass Kinder Worte in Taten umsetzen. Darauf möchten wir eben hinweisen, weil wir dort hohe Gefahren sehen.

domradio.de: Da würde ich gerne nochmal nachfragen. Die Verrohung ist so schlimm, weil es nicht nur bei der Sprache bleibt, sondern weil die Sprache auch ganz konkrete Folgen für das Handeln hat?

Fleischmann: Ja. Wir haben gerade heute bei unserer Pressekonferenz mit Professor Dr. Bauer – einem Neurowissenschaftler – darüber gesprochen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem was Kinder hören und lesen und den Taten. Das ist bei Erwachsenen übrigens auch der Fall. Wir haben dann aber noch eine intellektuelle Schleife mit dabei. Kinder und Jugendliche haben die nicht immer so - oder noch nicht so - und setzen einfach um, was Ihnen andere vorleben. Wenn wir uns die politische Kontroverse anhören, dann passiert dort sehr wenig Respektvolles. Auch Frau Bundeskanzlerin Merkel muss sich heute wohl dazu geäußert haben, dass auch politische Verantwortliche nicht immer den richtigen Ton treffen. Und das macht uns Sorge.

domradio.de: Sie haben ja gerade von einer Hau-Drauf-Mentalität - auch unter Politikern - gesprochen. Allerdings auch unter Medienvertretern, die über die Politik Bericht erstatten.  Sehen Sie Politiker und Medienleute in der Verantwortung?

Fleischmann: Ja, ich sehe uns alle in der Verantwortung. Ich bin zwar Präsidentin des Lehrerinnen und Lehrerverbandes in Bayern und nicht für Politik, Gesellschaft und alles gleich zuständig, aber wir haben als Lehrerinnen und Lehrer die Verantwortung - und die wollen wir auch wahrnehmen -  die Gesellschaft von morgen mit zu erziehen. Die Kinder von heute sind die Gesellschaft von morgen. Deswegen müssen wir alle dran arbeiten. So heißt auch unser Manifest: "Haltung zählt". Also gilt es Haltung zu zeigen, 'Nein' zu sagen, 'Stopp' zu sagen, wenn einer im Pausenhof brüllt: 'Scheiß Ausländer!'. Es gilt sofort hinzugehen und zu sagen: 'Moment mal, so nicht! Was war jetzt?' Mit ihm [dem Täter - Anm. d. R.] zu reden. Da hilft kein Verweis. Nur der Dialog hilft. Dort sehen wir uns als Lehrerinnen und Lehrer in der Verantwortung. Wir wollen hier unseren Beitrag zur Gesellschaft leisten.

domradio.de: Glauben Sie, dass Sie das denn schaffen können als Lehrerinnen und Lehrer? Dass Sie sozusagen, diese sprachliche Entwicklung einer Verrohung wieder ein Stück zurückdrehen können?

Fleischmann: Wir sehen eine sehr besorgniserregende Entwicklung. Wir wollen aber nicht pessimistisch sein. Wir wollen unseren Teil dazu Beitragen. Wir ermahnen aber auch alle anderen Aufzupassen in der Sprache und brauchen natürlich im schulischen Setting, dann auch Unterstützung. Wir sprechen als BLLV von Multiprofessionellen Teams. Damit meinen wir Schulsozialarbeiter, Psychologen, Pädagogen und zusätzliche Förderlehrer. Es geht um Möglichkeiten die neben dem Unterricht professionell erlauben, die Tendenzen der Verrohung der Sprache in Schule gut entgegenzutreten. Das kann nicht alles immer der Lehrer allein tun.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR