Ein Tag mit den Drogenmüll-Fegern des SKM in Köln

Fegen für ein neues Leben

Jeden Tag bleiben Spritzbestecke und Grastütchen in der Kölner Innenstadt liegen - eigentlich Sondermüll. In Köln kümmern sich die "Kölner Feger" um den Drogenabfall. Früher waren sie selbst drogenabhängig und wollen etwas gutmachen.

Autor/in:
Pia Steckelbach
Straßenfeger in Köln / ©  Oliver Berg (dpa)
Straßenfeger in Köln / © Oliver Berg ( dpa )

Seit drei Wochen ist Daniel (Name von der Redaktion geändert) nun schon als Feger unterwegs. Jeden Morgen pünktlich um neun Uhr trifft er sich mit seinen Kollegen in der Suchthilfeeinrichtung des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) in der Komödienstraße. Denn die Suchthilfe des SKM organisiert das Arbeitsprojekt, das ehemalige Drogenabhängige beschäftigen soll.

Daniel zieht sich seine Arbeitsuniform und die Warnweste mit dem Logo der Kölner Feger an und strahlt in neon-orange. Gerade war er noch ein unauffälliger, in dunklen Jeans und Sweatshirt gekleideter hagerer Mann. Plötzlich verändert sich sein Auftreten. Mit der Weste komme für ihn die Verantwortung, sagt er. Er achte jetzt viel mehr darauf, seinen Zigaretten in den Mülleimer und nicht auf die Straße zu werfen.

Müll an jeder Ecke

Auch Anthoulis ist heute dabei, er kennt den Ablauf schon seit einem halben Jahr: Vor dem Materialschuppen an der Außenseite des Hauptbahnhofs wird der Arbeitseinsatz besprochen. Jeden Tag übernimmt ein anderer die Planung für die Route und die Einteilung der Arbeit. Heute ist es Anthoulis, der das Kommando gibt und die Karre mit den Müllsäcken fährt. Nun geht es erst einmal zum Eigelstein - eine bekannte Ecke im Kölner Norden. Bereits auf dem Weg dorthin stoßen die Feger im Gebüsch auf zerquetschte PET-Pfandflaschen. Es ist nicht das erste Mal, dass jemand die Pfand-Container des benachbarten Supermarktes ausgeraubt hat, in der Hoffnung, die bereits abgegebenen Flaschen ein zweites Mal zu entwerten. Besonders Daniel regt sich darüber auf, für ein solches Verhalten hat er kein Verständnis mehr.

Arbeitsprojekt als Beschäftigungstherapie

Auf dem Ebertplatz halten sich die Feger am längsten auf: Meist finden sie hier gleich mehrere Spritzen und Abfall. Der absolute Drogenhotspot sei aber immer noch der Neumarkt. Hier richteten kleine Gruppen den größten Schaden für die Allgemeinheit an, so Andreas Hecht, Leiter der Suchthilfeeinrichtung des SKM. Er hat das Arbeitsprojekt vor einem Jahr mit seinen Kollegen ins Leben gerufen, nachdem er beobachtet hatte, dass viele Substituierte (Drogenabhängige, die mit Ersatzstoffen von der Sucht entwöhnt werden) keine Beschäftigung mehr haben, wenn die Beschaffung von Drogen in ihrem Leben wegfällt. Einmal in der Woche begleitet er die Feger selbst bei ihrem Einsatz, um die Nähe zu ihnen zu suchen. Mittlerweile könne er anhand des Mülls erkennen, welche Veranstaltungen in Köln stattgefunden haben: Bei der Musik- und Feuerwerksveranstaltung "Kölner Lichtern" finde man zum Beispiel meist kleine Schnapsflaschen. "Drogen nehmen alle. Der brave Bürger trinkt eben eher seinen Feigling."

Spritzen sind medizinischer Sonder-Müll

Auf dem benachbarten Theodor-Heuss-Platz sind die Säcke schnell gefüllt. Hier stoßen die Feger auf eine leere Verpackung aus dem Spritzenautomat, nur die Spritze selbst fehlt. "Ich bin um jeden froh, der wenigstens seine Spritze mitnimmt" sagt Hecht, das Gesundheitsrisiko sei nicht zu unterschätzen. Kinder können sich beim Spielen schnell damit verletzen. Krankheiten können übertragen werden. Daher sind Nadeln auch medizinischer Müll. Die Feger haben einen gesonderten Behälter für ihre Entsorgung. Die Abfall Wirtschaftsbetriebe seien darauf nicht ausgelegt, meint Daniel. "Darauf, Junkies ihren Müll hinterher zu tragen, haben die keinen Bock. Aber das kann ich verstehen, denn dafür sind wir jetzt da." Zudem erkennen die Feger die unscheinbaren Spritzenampullen sehr schnell. Sie haben durch ihre Erfahrung fast schon ein geschultes Auge.

Daniel fordert, die Stadt Köln solle hier mit Bußgeldern gegen die Verschmutzung vorgehen. Andreas Hecht bemerkt lachend: "Dann hätten die Feger aber nichts mehr zu tun!" Wobei: Daniel fühlt sich mittlerweile auch für seine Umwelt verantwortlich. Als er eine alte Dame sieht, die ihre Handtasche etwas unachtsam neben sich gestellt hat, spricht er sie an und belehrt sie über die Diebstahlgefahr im Park. "Kriminelle wären die besten Bullen", bemerkt er und freut sich: "Jetzt ist die Frau auch aufgeklärt."

Neue Hierarchien in der gemeinsamen Arbeit

Dann ruft Anthoulis zum Weiterziehen auf, die nächste Station ist der Klingelpützpark. Auch Andreas Hecht ordnet sich seinen Anweisungen unter, schließlich will er die Leistung der Feger respektieren: "In der Drogenszene gibt es die Ideologie, sich eben niemandem unterzuordnen".  Anthoulis ist es nicht wichtig, ob er das Kommando hat oder nicht, er wolle in keinem Fall "den Chef spielen". Wichtig sei ihm nur, dass er jeden Tag mit seinem eigenen Werkzeug arbeite; er greift immer zu derselben Zange mit dem Fußball-Sticker, die sei schon wie eine zweite Hand für ihn. "Man darf nicht vergessen, dass die Teilnehmer von der Straße kommen", sagt Hecht. Bei manchen könnten die kleinsten Unstimmigkeiten zu einem Streit führen, zweimal habe er schon eine Prügelei verhindern müssen.

Ganz ohne Drogen geht es doch nicht

Alle Feger werden substituiert und sind weitestgehend drogenfrei. Daniel aber rauche abends immer noch gerne einen Joint. Er könne damit besser einschlafen und sein Hunger würde angeregt. Er wiegt nur 55 Kilogramm, als er noch heroinabhängig war, sind es mehr als 80 Kilogramm gewesen. Es störe ihn nicht, dass er morgens Spritzen wegräume und sich später einen Joint drehe.  Es sei das einzige was ihm geblieben ist. Er zieht eine fast leere Wodkaflasche aus dem Gebüsch: "Dieser kleine Schluck könnte einem Alkoholiker morgens das Leben retten, es sind die kleinen Dinge, die uns umbringen."

"Ich habe eine Struktur, ich weiß, für was ich aufstehe", sagt Anthoulis

Um halb eins haben die Feger ihre Runde beendet. Ganze acht Säcke voll Müll sind zusammengekommen, normalerweise sind es drei bis vier. Allerdings war heute keine einzige Spritze dabei, ein erfreuliches Ergebnis. Pro Stunde verdienen die Feger 1,30 Euro, aber das ist für Anthoulis und Daniel kein richtiger Anreiz für ihre Arbeit: "Ich habe eine Struktur, ich weiß, für was ich aufstehe", sagt Anthoulis. Daniel wolle der Gesellschaft etwas zurückgeben für die Fehler, die er in der Vergangenheit gemacht habe. Für die Zukunft wünschen sich beide das Gleiche: Eine Wohnung und ein ganz normales Leben. Am besten, ohne dabei als Ex-Drogenabhängige erkannt zu werden, denn das habe "nie Vorteile, zu keiner Zeit", so Daniels Fazit.


Quelle:
DR