Buchautor Armin Himmelrath zur Integration von Flüchtlingskindern in der Schule

"Unglaubliche Motivation"

Immer mehr Flüchtlingskinder besuchen eine deutsche Schule. Eine Herausforderung - doch gemeinsames Lernen kann für alle positiv sein, hat Buchautor Armin Himmelrath recherchiert. Teil 1 des domradio.de-Interviews.

Flüchtlingskinder in der Schule / © Peter Steffen (dpa)
Flüchtlingskinder in der Schule / © Peter Steffen ( dpa )

domradio.de: Was ist denn das größte Problem, wenn Flüchtlingskinder und Flüchtlingsjugendliche in deutschen Schulen landen?

Armin Himmelrath (Journalist und Buchautor): Ich glaube, das größte Problem ist zunächst die Sprache, dass man miteinander ins Gespräch kommt und miteinander einen Weg findet. Zum Beispiel darüber, was gelernt wird, aber auch darüber, was möglicherweise an Vorurteilen da ist. Das andere große Problem ist, dass die Schulen da im Grunde nicht drauf vorbereitet waren.

domradio.de: Sie sprechen ja die Sprache an. Kinder lernen ja normalerweise relativ schnell eine fremde Sprache. Wie haben Sie das jetzt erfahren? Ist es besser, die Flüchtlingskinder erstmal in eine Integrationsklasse zu stecken oder sie in die ganz normalen Klassen zu holen und zu sagen: Das geht dann irgendwie?

Himmelrath: Wir haben ja schon relativ lange Erfahrung mit zugewanderten Kindern. Nicht unbedingt in der Zahl und in der Häufigkeit, aber das Phänomen gibt es natürlich schon relativ lange im deutschen Schulsystem. In der Gastarbeitergeneration gingen die Kinder vormittags in die normale Klasse und hatten Unterricht auf Deutsch. Am Nachmittag sind sie dann in den muttersprachlichen Unterricht gegangen sind, wo sie auf Türkisch, Spanisch, Portugiesisch oder Italienisch unterrichtet wurden.

Wir haben heute ganz andere Schulen. Der Unterricht ist ganztags und deshalb kann man eigentlich ein solches Modell gar nicht mehr fahren. Von daher bietet es sich eigentlich an, die Kinder möglichst viel in normale Klassen hineinzugeben und dann immer mal wieder rauszunehmen, um in kleinen Gruppen bestimmten Förderunterricht zu machen – zum Beispiel in Deutsch, aber vielleicht auch in anderen Fächern.

Aber im Grunde ist die Erfahrung, dass sie am meisten lernen, wenn sie möglichst viel mit gleichaltrigen deutschen Kindern zusammen sind. Das zeigen auch alle Studien, die es jetzt dazu gibt. Wenn die Kinder isoliert von den deutschen Kindern unterrichtet werden, dann bringt das wenig. Es bringt mehr, wenn es Mischformen gibt oder wenn sie sogar, sofern es die entsprechenden Kapazitäten hergeben, komplett in der Klasse unterrichtet werden. 

domradio.de: Haben Sie das bei Ihren Recherchen jetzt auch gesehen, dass das ganz gut funktionieren kann?

Himmelrath: Ja, wir haben das gesehen. Wir haben fast zwei Dutzend Schulen bundesweit  besucht und haben immer wieder entdeckt, dass eigentlich da, wo sich Lehrer darauf einlassen mit den Schülern zu arbeiten und sich auf diese neue und auch herausfordernde und manchmal schwierige Situation einlassen, dass es da eigentlich ziemlich gut klappt.

Es klappt da nicht gut, wo Lehrer sagen: Ich warte jetzt mal auf den Erlass des Kultusministeriums, der mir sagt, wie es dann zu laufen hat. Oder auf die politische Entscheidung und auf eine Vorgabe. Da wo Leute selber aktiv werden, da funktioniert es und da entdecken sie in der Regel dann auch Wege, wie sie mit diesen Herausforderungen, die einfach da sind, auch umgehen können. 

domradio.de: Jetzt haben Sie die Lehrer erwähnt. Sprechen wir mal über die Eltern der Kinder ohne Migrationshintergrund. Die machen sich dann oft doch Sorgen. Was sind denn da die größten Ängste?

Himmelrath: Viele befürchten, dass eine große Anzahl von Kindern mit Migrationshintergrund die anderen Schüler ausbremsen könnte. Der deutsche Philologen-Verband, ein eher konservativer Lehrervertretungsverband, sagt, dass wir nicht über eine Grenze von 30 Prozent hinausgehen dürften, weil dann ein Leistungsabfall zu bemerken ist.

Das stimmt auch: Es gibt häufig einen Leistungsabfall, wenn viele Kinder mit Migrationshintergrund in der Klasse sind. Es gibt jedoch Forschungen dazu, die sagen, dass das weniger am Migrationshintergrund liegt und mehr an der sozioökonomischen Situation der Eltern. Also dass da, wo Kinder aus ärmeren Familien, aus schwierigeren Stadtteilen kommen, dass da eben das Lernen an sich keinen hohen Wert genießt und dass dadurch auch ein Bremseffekt entsteht.

Was wir beim Besuch in den Schulen gesehen haben: Häufig bringt gerade die erste Generation eine unglaubliche Motivation mit, etwas lernen zu wollen. In Bremen war ich zum Beispiel in einer Schule beziehungsweise in einem Deutschkurs, wo die Schüler eben keine Schulplätze hatten, weil die Stadtverwaltung das bisher nicht hinbekommen hat: Die sagten, Mensch bitte, wir wollen lernen, wir wollen in die Schule. Die haben einen Brief an die Politik geschrieben, an den Bürgermeister.

Lehrer haben uns gesagt: Wenn wir solche Schüler in die Klasse reinbekommen, ziehen die mit ihrer Motivation im Grunde die ganze andere Klasse mit nach oben. Also da gibt es sogar den Effekt, dass mehr gelernt wird. Also muss es nicht unbedingt immer ein Bremsfaktor sein.

domradio.de: Also kann der Wissensdurst, den die Kinder mitbringen, sogar ansteckend wirken?

Himmelrath: Genau.

domradio.de: Ganz wichtiges Stichwort in dem Zusammenhang ist aber sicher auch interkulturelles Lernen. Davon ist heutzutage auch viel die Rede. Auch da nochmal die Frage: Haben Sie gesehen, dass das tatsächlich in der Praxis auch funktionieren kann?

Himmelrath: Ja, es funktioniert dann, wenn man die Kinder eben zusammenbringt. Wenn ich natürlich eine fünfköpfige syrische Kindergruppe habe, die untereinander nur zusammenhocken, in der Schule, vielleicht auch noch in der Freizeit und keinen Kontakt zu deutschen Kindern haben, dann wird es schwierig.

Aber in dem Moment, wo eben diese Grenzen oder diese Andersartigkeit aufgebrochen werden und  wo Kinder miteinander ins Gespräch kommen, geht es ganz schnell.

Und auch das ist wieder eine Beobachtung, die uns die Lehrer sehr häufig bestätigt haben, dass die deutschen Kinder auch ganz viel dadurch lernen, dass sie die anderen Kinder mit betreuen, denen etwas beibringen. Wir kennen das ja alle: Wenn wir bestimmte Dinge vermitteln wollen und erzählen darüber, lernen wir im Unterrichten gewissermaßen nochmal mehr. Und das passiert natürlich bei Kindern auch.

Das heißt, es ist nicht unbedingt so, dass alle anderen Kinder erstmal nicht lernen können, bis das Flüchtlingskind auf dem Stand der Anderen ist. Wenn die schon dagewesenen Kinder dem neuen Kind oder den neuen Kindern etwas beibringen, lernen sie auch selber etwas. Hinzu kommen auch die dadurch erworbenen sozialen Kompetenzen. Die Schulen, die wir besucht haben, haben damit fast durchgängig sehr gute Erfahrungen gemacht. 

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.

domradio.de veröffentlicht am Sonntag, den 10. Juli 2016, den zweiten Interviewteil mit Buchautor Himmelrath. Dabei gehts um Schulinitiativen, den Umgang mit rechts gerichteten Jugendlichen und wie die Zukunft bewältigt werden kann.


Flüchtlingskinder in einer Erstaufnahmeeinrichtung / © Christel Kovermann
Flüchtlingskinder in einer Erstaufnahmeeinrichtung / © Christel Kovermann
Quelle:
DR