Katholische Frauengemeinschaft begrüßt neues Sexualstrafrecht

Übergriffe in Kölner Silvesternacht gaben letzten Anstoß

"Nein heißt nein!" - nach diesem Grundsatz hat der Bundestag jetzt das Sexualstrafrecht verschärft. Als "schon lange notwendig" bezeichnet die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands im Interview diesen Schritt.

Demonstrationsschild "Finger weg" / © Oliver Berg (dpa)
Demonstrationsschild "Finger weg" / © Oliver Berg ( dpa )

domradio.de: Die Gesetzesänderung ist eine direkte Folge der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht. Haben die Abgeordneten jetzt in Ihren Augen den richtigen Schluss gezogen?

Dr. Heide Mertens (Abteilungsleiterin Politik und Gesellschaft beim Bundesverband der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands): Es war jetzt vor dem Hintergrund dieser Ereignisse, des großen Medienechos und der Überlegung, dass etwas passieren muss, möglich, etwas zu tun, was vorher schon lange notwendig war. Spätestens seit der Istanbul-Konvention des Europarates gab es da eine Handlungsvorgabe, die ja bereits im Jahr 2014 beschlossen wurde. Ganz streng genommen hat eigentlich dieser Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht, der im Bundestag beschlossen wurde, nur partiell mit der Silvesternacht zu tun. Erst einmal ging es um einen Paradigmenwechsel im Verständnis des sexuellen Miteinanders der Geschlechter in unserer Gesellschaft, die davon ausgeht, dass sexuelle Handlungen immer nur im beiderseitigen Einverständnis stattfinden dürfen. Vom Kuss, über die Berührung bis hin zum Beischlaf. Vorher hatten wir darauf eine Sichtweise, die sicherlich auch unseren Traditionen entspricht und möglicherweise immer noch in anderen Ländern praktiziert wird, dass Frauen sich vor Übergriffen von Männern zu erwehren und zu schützen haben. Da sind wir lange von weg. Jetzt haben wir das Verständnis, dass jede sexuelle Handlung das Einverständnis beider Beteiligten erfordert.

domradio.de: Ist das nicht traurig, dass erst so schwerwiegende Dinge wie in der Kölner Silvesternacht passieren mussten, bevor sich da etwas bewegt hat? Schließlich fordern Sie schon sehr lange, die Lücken im Sexualstrafrecht zu schließen, oder?

Mertens: Solche Dinge wie in der Silvesternacht passieren in anderen Kontexten ja auch immer wieder. Traurig finde ich an der Kölner Geschichte, dass es sich um Täter mit Migrationshintergrund handelt und es diesen Umstand brauchte, um sich zu bewegen. Das hat nochmal einen anderen Dreh bekommen, dass die Ereignisse der Silvesternacht Menschen dazu gebracht hat, sich vehement für die Sexualstrafrechtsreform einzusetzen, die vorher nicht im Geringsten daran gedacht hätten. Es gab bereits im Vorfeld einen Gesetzentwurf aus dem Justizministerium, der allerdings nicht so weit gegriffen war. Dieser ist allerdings nicht weiter in einen Verfahrensprozess überführt worden, sondern erst nach der Kölner Nacht verarbeitet worden.

domradio.de: Auch das sogenannte "Grapschen" wird künftig strafbar sein. Das ist gut so, oder?

Mertens: Das ist gut und das greift natürlich am ehesten deutlich Dinge auf, die offensichtlich in der Silvesternacht passiert sind. Da geht es darum, dass in Gruppen, in Mengen, beim Karneval oder beim Schützenfest unsittliche Berührungen stattfinden und dass dies bisher tatsächlich nicht vom Strafrecht her geahndet werden konnte. Jetzt ist deutlich, dass es sich dabei auch um ein Delikt handelt, egal, wer es zu welcher Zeit und in welcher Situation tut. Diese Modifizierung haben wir sehr begrüßt und im Vorfeld auch eingefordert. Das haben auch viele unserer Frauen gefordert, die sehr entsetzt waren, als wir sagen mussten, dass vieles, was da passiert ist, nach unserem Recht gar nicht wirklich strafbar ist.

domradio.de: Natürlich gibt es auch Kritik am neuen Gesetz. Manch eine Frauenrechtlerin sagt, dass die Rolle der Frau als Opfer und unter besonderen Schutz zu stellendes Wesen zementiert wird. Was würden Sie dem entgegnen?

Mertens: Ich glaube, man muss da zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist, dass es schon einem sehr emanzipierten Verständnis entspricht, wenn zwei Individuen einverstanden sein müssen, wenn sexuelle Handlungen passieren. Das andere ist die Frage, wie das strafrechtlich umgesetzt wird. Das muss man sicherlich genau beobachten, wie das funktioniert. Was passiert, wenn jetzt Anklagen erhoben werden? Kann jetzt besser bewiesen werden, dass tatsächlich etwas passiert ist? Das war früher ja schwierig. Kommt es zu Anklagen, die nicht gerechtfertigt sind? Gesellschaftlich kann ich es nicht sehen, dass die Frau immer als Opfer dargestellt wird. Gesellschaftlich geht es darum, noch einmal genau den Rahmen zu überlegen, dass sexuelle Handlungen einverständlich stattfinden müssen. Wir als Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands haben da auch noch einmal einen besonderen Blick darauf. Ich empfinde das auch als Aufforderung, darüber nachzudenken, was wir unseren Kindern beibringen wollen und ihnen sagen. Was soll da der Maßstab sein?

domradio.de: Auf den Punkt gebracht: Was erhoffen Sie sich von dem neuen Gesetz?

Mertens: Frauen sind auf keinen Fall Freiwild oder nur Objekte sexueller Begierde. Männer und Frauen sind Individuen, die ihren Umgang mit Sexualität erlernen müssen und eigenverantwortlich damit umgehen müssen. Natürlich müssen sie die Sexualität mit Respekt gegenüber der anderen Person ausüben.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Dr. Heide Mertens / © kfd/Andreas Varnhorn
Dr. Heide Mertens / © kfd/Andreas Varnhorn
Quelle:
DR