Deutscher Kinderschutzbund: Staat gibt viel mehr Geld für die Reichen aus

Heute Kinderarmut, morgen Altersarmut

Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, hält die aus seiner Sicht unzureichende Unterstützung armer Kinder für einen Skandal. Im domradio.de-Interview rechnet er vor, inwiefern der Staat für reiche Kinder mehr ausgibt als für arme.

Heinz Hilgers / © Markus Scholz (dpa)
Heinz Hilgers / © Markus Scholz ( dpa )

domradio.de: Jedes siebte Kind in Deutschland ist abhängig von Hartz IV. Was sagen Sie zu der Zahl?

Heinz Hilgers (Präsident Deutscher Kinderschutzbund): Da kommen noch eine ganze Reihe anderer Kinder dazu, neben den 1,54 Millionen Kindern, deren Eltern Hartz-IV-Leistungen beziehen. Es handelt sich um Kinder, deren Eltern zum Beispiel von Kinderzuschlag leben oder Wohngeld empfangen, also alle, die Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket haben. Wenn Sie das miteinbeziehen sind es 2,7 Millionen Kinder.

domradio.de: Was bedeutet das im Alltag für die Kinder?

Hilgers: Das ist das Kind, deren einzige Jeans, wenn sie gewaschen wird, morgens auf die Heizung muss. Das ist das Baby, dessen Eltern gerade sechs Euro zur Verfügung haben, für Windeln, Puder oder die Creme. Das ist der Junge mit 13 Jahren, dem drei Euro pro Tag zur Verfügung stehen, für Essen und Trinken. Und das sind die Kinder, die kaum eine Chance im deutschen Bildungssystem haben. Das beweisen alle Pisa-Studien. Wenn sie die Reihenfolge der Bundesländer in Pisa-Studien sehen, entspricht das immer der Reihenfolge, die die Bundesländer bei der Sozialhilfequote von Kindern einnehmen. Kein anderer Faktor spielt da eine Rolle.

domradio.de: Wir sollten eigentlich Chancengleichheit in Deutschland haben. Eigentlich müsste ein Kind aus einer Hartz-IV-Familie genau gleich dastehen wie ein Millionärskind?!

Hilgers: Das ist ja der Skandal: Der Staat bezahlt für die Kinder der Reichen mehr als für die Kinder der Armen. Über den Kinderfreibetrag können die Eltern fast 300 Euro generieren, weil das über die Steuer abgesetzt werden kann, wenn man nicht mehr als 240.000 Euro verdient. Und bei den Armen wird das Kindergeld von knapp 200 Euro auf den Hartz-IV-Satz angerechnet. Von Kindergelderhöhungen hat derjenige nichts. Der Staat gibt, so gesehen, viel mehr Geld für die Kinder der Reichen aus, als der Armen. Man kann auch noch das Geld für die Privatschule und die Kinderbetreuung absetzen und dann kann man bis zu 500 Euro vom Staat zurückbekommen. Das Bildungs- und Teilhabepaket ist ein einziger Skandal. Da gibt der Staat viel mehr Geld für Bürokratie aus als für die Kinder und es werden hohe Hürden aufgebaut, um überhaupt an die Gelder zu kommen. Und die 100 Euro, die es für das Schuljahr gibt, die reichen hinten und vorne nicht. Mehrmals haben wir nachgewiesen, dass die Eltern zu Jahresbeginn für den Schulbedarf bis zu 300 Euro brauchen.

domradio.de: Inwiefern sehen Sie die Politik in der Pflicht, etwas zu unternehmen?

Hilgers: Das, was seit Jahren in diesem Bereich läuft, ist für Deutschland eine Katastrophe. Am 1. Januar 2000 hatten wir noch 1,45 Millionen von 15,7 Millionen Kinder, die auf diesem Niveau lebten. Heute haben wir 2,7 Millionen Kinder von weniger als 12 Millionen Kindern. Das ist eine dramatische Entwicklung, die die Lebenschancen der zukünftigen Generation deutlich verschlechtert. Und wenn über Altersarmut diskutiert wird, dann sage ich dazu: Ja, das ist ein wichtiges Thema. Aber aus der Kinderarmut von heute wird die Altersarmut von morgen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

In einem gemeinsamen Aufruf mit anderen Verbänden fordert der Deutsche Kinderschutzbund eine einheitliche Grundsicherung für alle Kinder und Jugendlichen.


Quelle:
DR