Ex-Vizekanzler Müntefering zur "Woche für das Leben"

"Die Alten kennen die Abkürzungen"

In ihrer traditionellen "Woche für das Leben" stellen die beiden großen Kirchen in diesem Jahr das Alter in Würde in den Mittelpunkt. Im Interview erläutert der frühere Vizekanzler Franz Müntefering, was er darunter versteht.

Franz Müntefering / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Franz Müntefering / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

KNA: Herr Müntefering, was verstehen Sie unter Altern in Würde?

Franz Müntefering (Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen): Das wichtigste ist, dass auch Senioren an der Gesellschaft teilhaben und teilnehmen können - das ist ein Geben und Nehmen. Sie müssen aktiv mitmischen können, Aufgaben und soziale Kontakte behalten, in der Familie, in Vereinen, in der Nachbarschaft oder in der Politik. Das größte Problem ist die Einsamkeit älterer Menschen. Wenn der Lebenssinn verloren geht. Aber das muss nicht sein. Wir sind eine Gesellschaft, die eigentlich sehr viel Zeit hat. Das Prinzip "Helfen und helfen lassen" sollte für alle Generationen gelten.

KNA: Droht mit der steigenden Zahl älterer Menschen ein Generationenkrieg?

Müntefering: Das glaube ich nicht. Das Alter ist gut akzeptiert, Großeltern und Enkel helfen sich gegenseitig. Die sozialen Konflikte liegen nicht zwischen den Alterskohorten: Reiche und arme Senioren werden sich nicht gegen eine die reichen und armen Jüngeren verbünden.

KNA: Ist es nicht eher so, dass die Gesellschaft steigende Erwartungen an die ältere Generation formuliert: Die Senioren sollen sich nicht ausruhen, sondern aktiv bleiben und etwas beitragen?

Müntefering: Demokratie kennt keinen Schaukelstuhl. So lange die Gesundheit mitmacht und der Kopf klar bleibt, ist jeder mitverantwortlich. Mit der Rente ist man ja nicht aus der Gesellschaft raus. Aber das gilt für alle Altersgruppen. Man kann auch mit 65 oder 67 beginnen, sich ein Ehrenamt zu suchen. Aber besser ist es, in jüngeren Jahren anzufangen und dann nach dem Berufsleben intensiver einzusteigen.

KNA: Ist eine ältere Gesellschaft wirklich weniger dynamisch als eine jüngere?

Müntefering: Da ist schon was dran: Die Innovationskraft liegt eher bei den jüngeren Menschen, die es besser machen und Neues schaffen wollen. Aber diese Jüngeren gibt es ja auch. Wir Älteren haben mehr Lebenserfahrung, vielleicht auch Wissen und Augenmaß. Ich sage gern: Wir Alten sind nicht mehr so schnell, aber wir kennen die Abkürzungen. Auch darin liegt eine große Kraft.

KNA: Sie waren maßgeblich dafür, die Rente mit 67 einzuführen. Reicht das angesichts des demografischen Wandels aus?

Müntefering: Eine Erhöhung des Rentenalters ist nicht die einzige Stellschraube. Ob die Alterssicherung funktioniert, hängt auch daran, wieviele Menschen Arbeit haben. Die, die arbeiten, müssen so gut verdienen, dass sie auch ordentlich Beiträge zahlen können. Die Relation zwischen Beitragszahlern und Rentnern bleibt ja auch nur für eine begrenzte Phase so extrem. Ab 2040 sind die Babyboomer auf dem Weg zum Himmel, dann verändert sich das Verhältnis wieder. Um diese Zeit zu überbrücken, gibt der Staat auch erhebliche Zuschüsse zur Rentenversicherung.

KNA: Also nicht die Rente erst mit 70?

Müntefering: Über Jahrhunderte ist es so gewesen, dass die Menschen so lange arbeiten mussten, bis sie nicht mehr konnten. Erst mit der Einführung der Rentenversicherung Ende des 19. Jahrhunderts entstand dann so eine Haltung, dass man sich irgendwann auf die Reservebank setzen konnte, weil der Tank leer gefahren ist. Vielleicht müssen wir da wieder etwas umdenken. Andererseits kann man von jemandem, der sein Leben lang hart körperlich gearbeitet hat, nicht erwarten, dass er im Alter einfach weiter macht. Ich finde, man sollte in solchen Berufen Berufswechsel ab dem 50. Lebensjahr erleichtern. Die Bundesanstalt für Arbeit könnte solchen Menschen Fortbildungen ermöglichen, damit sie in einen weniger anstrengenden Beruf finden können. Alles in allem: Mehr Flexibilität!

KNA: Gibt es eigentlich genügend Modelle, um einen gleitenden Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen - auch mit der Chance, dann weniger Stunden, aber bis ins höhere Alter zu arbeiten?

Müntefering: Die gibt es leider nicht, obwohl viele Menschen sich das vorstellen können. Das hängt aber auch daran, dass wir stark am Senioritätsprinzip festhalten: Je älter man wird, desto besser will man bezahlt werden. Gerade Männer empfinden es als Demütigung und Versagen, wenn sie plötzlich weniger Geld erhielten oder eine weniger verantwortungsvolle Position einnehmen müssten. Was Unsinn ist. Philipp Lahm kann mit 50 oder 60 auch kein Spielführer der Nationalmannschaft sein. Da müssen wir noch viel umlernen.


Quelle:
KNA