Am 2. April ist Welt-Autismustag

Wenn das Kind einfach anders tickt

Als Kind eckte Karsten Wellinghoff immer wieder an, musste mehrfach die Schule wechseln. Die Eltern litten, Lehrer fühlten sich überfordert. Die Diagnose war dann fast eine Erleichterung: Asperger-Autismus. Mit der Therapie begann ein neues Leben.

Autor/in:
Ebba Hagenberg-Miliu
Kinder einer Sozialtrainingsgruppe des Autismus Zentrums Schwaben / © David Scheible (dpa)
Kinder einer Sozialtrainingsgruppe des Autismus Zentrums Schwaben / © David Scheible ( dpa )

Schulwechsel sind für ihn ein Horror. Karsten Wellinghoff (Name geändert) ist es einfach nie gelungen, wieder Anschluss zu finden. "Dabei tue ich niemandem etwas. Ich habe immer nur versucht, irgendwie dabei zu sein", sagt der 16-Jährige. Obwohl die Umwelt ihn wohl immer in Abwehrhaltung erlebt habe, gibt Karsten zu. Er senkt den Kopf. Er hat eine Odyssee hinter sich, weil er schon als Kleinkind anders tickte als seine Altersgenossen. Beim ihm liegt das Asperger-Syndrom vor, eine Autismus-Störung.

Was ist Autismus?

Am 2. April, dem Welt-Autismus-Tag der Vereinten Nationen, soll für die angeborene und unheilbare Entwicklungsstörung sensibilisiert werden. Bei Autisten sind die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung des Gehirns verändert. Sie haben Schwierigkeiten, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, mit ihnen zu kommunizieren und soziale Verhaltensregeln einzuhalten.

Karsten Wellinghoffs Erinnerungen sind schmerzlich: Irgendwann warf ihn eine Schülergruppe die Treppe hinunter. Dann kamen Kinder zu seinem Haus, warfen eine Plastikflasche durchs Fenster. "Das war der Alptraum. Er wollte überhaupt nicht mehr zur Schule gehen. Ich hatte Angst, dass mein Sohn Suizidgedanken bekommt", sagt seine Mutter.

Die ersten Jahre auf wechselnden Schulen seien schlimm gewesen. "Ich bekomme heute noch eine Gänsehaut", berichtet die Mutter. In der Förderschule war Karsten unterfordert. In der Regelschule sprach die Schulpsychologin von Überforderung - wegen Karsten. Ein Teufelskreis.

Schwieriges Sozialverhalten

Karsten Wellinghoff sei beeinträchtigt in der Kommunikation und sozialen Interaktion, besitze aber gute sprachliche Fähigkeiten und eine hohe Intelligenz, erklärt die Bonner Therapeutin Monika Stölting. Asperger-Autisten wie er verfügen meist über normale kognitive Begabungen, einige sind auch hochbegabt. Nur ihr Sozialverhalten wird von anderen als schwierig empfunden. Darum wird der Autismus bei ihnen oft erst spät erkannt.

In Europa geht der Bundesverband Autismus Deutschland e.V. von mindestens sechs Autisten auf 1.000 Kinder aus. Dabei kann Autismus, wie etwa bei dem von Dustin Hoffmann in dem Film "Rain Man" gespielten Rechengenie, durchaus sogenannte Inselbegabungen freisetzen. Generell habe ein Mensch mit einer Autismus-Spektrum-Störung ein hohes Bedürfnis nach festen Abläufen und Strukturen, er lebe eine andere Emotionalität, erklärt die Therapeutin.

"Na ja", sagt Karsten, "irgendwie habe ich mich schon immer als Sonderling gesehen." Er sei eben introvertiert. Ein halbes Jahr lang wurde er einfach nur krankgeschrieben - bis bei ihm endlich das Asperger-Syndrom erkannt wurde. Letztlich, sagt Karstens Mutter, sei die Diagnose eine befreiende Nachricht gewesen. Endlich wusste die Familie, was los war.

Verschiedene Therapien

Tagsüber ging Karsten Wellinghoff nun zunächst in eine jugendpsychiatrische Einrichtung. Und lernte: "Ich muss erreichen, mit dem Asperger zu leben. Das ist keine Krankheit." Über das Jugendamt erhielt die Familie eine ambulante Eingliederungshilfe für Jugendliche mit seelischer Beeinträchtigung. Die Therapeutin war von nun an für die Förderung und Beratung der ganzen Familie verantwortlich. Später kam eine Gruppentherapie hinzu.

"Wir haben immer wieder Alltagssituationen aufgegriffen, die für Karsten schwierig waren, um einen sozial kompatiblen Plan B aufzubauen", erklärt Therapeutin Stölting. So habe man gemeinsam immer wieder überlegt, wie der Junge oder seine Familie der Umwelt seine Verhaltensmuster erklären könnten. Den Autismus zu verstehen und ein positives Selbstbild aufzubauen, sei der Ansatz in der Förderung gewesen.

Die Therapie hat die ganze Familie erleichtert: "So haben wir es geschafft, Karsten nie aufzugeben und ihn so anzunehmen, wie er ist", sagt die Mutter. Der Junge ist heute wieder im Unterricht, es könnte sogar mit dem Realschulabschluss klappen.

"Inzwischen komme ich super klar", sagt Karsten. Er ist stolz und träumt davon, das Abitur anzugehen. Er geht inzwischen sogar ein wenig auf Menschen zu. "Die soziale Interaktion ist jetzt einfacher", berichtet er und muss selbst lachen über seine Fachsprache. Ob er es aber irgendwann schaffen wird, allein zu wohnen - er ist sich nicht sicher.

Berufliche Chancen

Asperger-Autisten erhielten ihr Leben lang therapeutische Begleitung, sagt Therapeutin Stölting. Und auch beruflich brauche Karsten sich wohl keine Sorgen machen: Von Asperger Betroffene zeichneten sich durch hohe Verlässlichkeit, analytische Perfektion und Kontinuität im Handeln aus. Wenn der strukturelle Rahmen am Arbeitsplatz stimme, der Betroffene sich wohlfühle und das Arbeitsfeld seinen Fähigkeiten entspreche, könne sich eine Firma keine produktiveren Mitarbeiter wünschen.


Kinder einer Sozialtrainingsgruppe des Autismus Zentrums Schwaben / © David Scheible (dpa)
Kinder einer Sozialtrainingsgruppe des Autismus Zentrums Schwaben / © David Scheible ( dpa )
Quelle:
epd