Kinderrechtler beklagen Situation in belagerten Gebieten

"In der syrischen Todeszone"

Seit fünf Jahren tobt der Krieg in Syrien. Vor allem in den besetzten Gebieten sind die Menschen fast vollständig von Hilfe abgeschnitten. Die Hilfsorganisation Save the Children warnt vor den Folgen einer "Kindheit in Trümmern".

Autor/in:
Anna Mertens
Syrische Flüchtlinge  / © Christoph Sator (dpa)
Syrische Flüchtlinge / © Christoph Sator ( dpa )

Tierfutter für Kleinkinder, Operationen bei Kerzenlicht und Matratzenwolle als Brennstoff: Die Situation in den belagerten Gebieten in Syrien ist nach Einschätzungen von Hilfswerken dramatisch. In einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht beschreibt die Kinderrechtsorganisation Save the Children das "Gefängnis unter freiem Himmel" und fordert ein sofortiges Ende der taktischen Belagerung sowie einen humanitären Korridor in die betroffenen Gebiete.

"In weiten Teilen Syriens sterben Kinder aufgrund von akutem Mangel an Nahrungsmitteln und dringend benötigten Medikamenten, obwohl nur ein paar Kilometer entfernt die Warenhäuser mit Hilfsgütern gefüllt sind", beklagte Vorstandsmitglied Bidjan Nashat anlässlich der Vorstellung des Berichts. Die Situation in den belagerten Orte, den "Todeslagern", sei das schockierendste Zeugnis des Versagens der internationalen Gemeinschaft. "Diese Kinder bezahlen den hohen Preis für die Untätigkeit der Weltgemeinschaft", so Nashat.

Kinder durch ständige Bedrohung traumatisiert

Der Bericht "Kindheit in Trümmern. Leben und Sterben in den belagerten Gebieten Syriens" soll ein Überblick über die Situation der Einheimischen geben. Dafür befragte die Organisation 126 Eltern und Kinder in der Region. Darüber hinaus wurden Gespräche mit 25 lokalen Hilfsgruppen, Ärzten und Lehrern geführt.

Der größte Schrecken für die Familien sind demnach die Luftangriffe, oft mit Fassbomben. Nach Berichten der Eltern sind viele Kinder traumatisiert und haben sich durch die ständige Bedrohung verändert. Viele Kinder seien aggressiver oder depressiv geworden. Schulbesuche seien durch die ständigen Bombenangriffe quasi unmöglich. Nach Schätzungen der UN wurde jede vierte Schule in Syrien bereits angegriffen.

Zu wenig Lebensmittel und Medikamente

Alle Eltern und Kinder berichten laut Save the Children, dass sie die Anzahl der täglichen Mahlzeiten notgedrungen mehr als halbiert haben. Ein Drittel der Befragten habe zeitweise nicht einmal eine Mahlzeit pro Tag bezahlen können. Zahlreiche Kinder seien an Lebensmittelvergiftungen, Mangelernährung und infolge von Komplikationen bei der Geburt gestorben.

Die medizinische Versorgung ist laut Kinderrechtsorganisation fast zum Erliegen gekommen, und der Vorrat an Medikamenten schwindet. Es gebe kaum mehr als einen Tisch, einen Sterilisator und ein bisschen Verbandszeug, berichtet eine syrische Mutter. Ärzte müssten mangels Strom bei Kerzenlicht operieren und alte Wasserschläuche für Beatmungen nutzen. Auch würden alte Laken oder Stoffreste gekocht, um sie als Verbandsmaterial zu nutzen. Kinder und Erwachsene litten an Durchfallerkrankungen und Atemwegsinfekten. Geburten würden zu einem Risiko für Mutter und Säugling.

"Lage hat sich verschlechtert"

Die Vereinten Nationen haben in den vergangenen fünf Jahren, die der Krieg in Syrien bereits andauert, zahlreiche Resolutionen verabschiedet, um Hilfswerken den Zugang zu den belagerten Gebieten zu ermöglichen. Die Lage habe sich jedoch im vergangenen Jahr verschlechtert, beklagt Save the Children.

Nach UN-Angaben wurden im vergangenen Jahr nur rund 10 Prozent der Anträge für Hilfslieferungen genehmigt. Weniger als ein Prozent der Menschen in den belagerten Gebieten erhielten Nahrung über die UN-Hilfsprogramme und nur drei Prozent konnten medizinisch versorgt werden.

"Hilfsgüter nicht als Druckmittel einsetzen"

Save the Children appelliert an die internationale Gemeinschaft, alle Konfliktparteien zur Verantwortung zu ziehen und zugleich die Friedensgespräche schnell voranzutreiben. Hilfsgüter dürften in den Verhandlungen nicht als Druckmittel eingesetzt werden. Schulen und Krankenhäuser dürften nicht bombardiert werden.

Nötig seien regelmäßige Hilfslieferungen in die Region. Bisher deckten die Lieferungen nur "einen Bruchteil des Notwendigen ab" und medizinische Evakuierungen seien weiterhin nicht erlaubt. "Kein Kind sollte unter diesen Bedingungen leben müssen", betonten die Kinderrechtler.


Quelle:
KNA