Dresdner Kreuzkirche startet 800-Jahr-Feier mit Tafelwoche

Schmausen in der Kirche

Essen in der Kirche, am geweihten Ort: Für manche undenkbar. Die Gemeinde der Dresdner Kreuzkirche praktiziert das derzeit mit einer Tafelwoche für Obdach- und Wohnungslose. Bedürftige können unterm Kirchenraum in den Künstlergarderoben übernachten.

Autor/in:
Katharina Rögner
Tafelwoche in der Kreuzkirche / © Arno Burgi (dpa)
Tafelwoche in der Kreuzkirche / © Arno Burgi ( dpa )

Die Dresdner Kreuzkirche hat für eine Woche umgeräumt: Mehr als 100 Kirchenbänke sind vier festlich gedeckten Tafeln gewichen. Dort, wo sonst Gottesdienstbesucher hintereinander in den Bankreihen sitzen, darf jetzt gespeist werden. Die Besucher sitzen sich gegenüber, kommen ins Gespräch. Das Angebot der Tafelwoche richtet sich vor allem an Obdach- und Wohnungslose, doch jeder Dresdner oder Tourist ist ebenfalls willkommen.

Mit der Aktion startet die Kreuzkirche ihre Feierlichkeiten zum 800-jährigen Bestehen, das sie in diesem Jahr zusammen mit dem Kreuzchor und der Kreuzschule feiert. "Wir wollen ein diakonisches Zeichen setzen", sagt der Dresdner Superintendent Christian Behr, der sich für das Projekt im Jubiläumsjahr eingesetzt hat.

Gemeinsames Mittagessen

Der Kirchenraum könne auf diese Weise mal ganz anders erlebt werden, sagt Behr, das sei ihm im Sinne einer Öffnung nach außen wichtig. Beim gemeinsamen Mittagessen wird geredet, getröstet und gefragt. Das nutzt auch eine arbeitslose junge Frau auf der Suche nach Kontakten. Nicht weit entfernt sitzen zwei junge Franzosen, die auf ihrer Tour durch Europa in Dresden Halt machen.

Mit der Tafelwoche werde "mehr Leben in die Kirche gebracht", sagt Behr. Sie bietet Platz auch für das Säkulare, für Menschen, die der Kirche fernstehen und sonst in kein Sakralgebäude gehen. Einigen Kirchgemeindemitgliedern sei die Aktion nicht heilig genug, für sie werde der liturgische Ort fremdgenutzt, schildert Behr Vorbehalte. Doch der Theologe ist sich sicher: Der Raum bleibt Kirche, er wird aber vor allem ein Kommunikationsort.

Tagsüber erklingt inzwischen oft Musik, verschiedene soziale Träger stellen sich vor. Am Freitag ist ein "Tag des Flüchtlings" geplant. Unter anderem will das Deutsche Rote Kreuz über seine Arbeit informieren. Zum Tafel-Mittagessen werden dann auch Asylbewerber erwartet. Zudem finden reguläre kirchliche Veranstaltungen wie der Sonntags-Gottesdienst und die traditionelle Kreuzchorvesper am Samstagabend statt - alles in der umgeräumten Kirche. Ob der Chor zwischen den Tischen oder auf der Empore singt, ist noch offen.

Mahlzeiten und Schlafplätze

Sicher ist, dass bis zum Sonntag täglich für etwa 120 Personen ein Mittagessen bereitsteht. Zudem gibt es rund 20 Schlafplätze für Obdachlose. Bedürftige finden am Abend in den Künstlergarderoben im Keller der Kirche ein Quartier. Zuvor bekommen sie Abendbrot und am Morgen ein Frühstück. In der ersten Nacht kamen elf Personen.

In Dresden leben Schätzungen zufolge etwa 1.000 Menschen, die über keinen Wohnungsmietvertrag verfügen. Seit Jahren bieten evangelische und katholische Kirchgemeinden sowie die Heilsarmee in der kalten Jahreszeit Nachtscafés mit Übernachtungsmöglichkeit an. Die Zahl der Obdachlosen nehme weiter zu, jährlich steige sie um drei bis vier Prozent, sagt der Sprecher des Koordinierungskreises der ökumenischen Nachtcafés, Gerd Grabowski. Bundesweit seien es etwa 32.000 Obdachlose in den Großstädten.

Bisher kein großer Andrang

Grabowski zufolge stehen in Dresden rund 350 Plätze für Obdach- und Wohnungslose in Unterkünften zur Verfügung. Zwischen 100 und 200 der Betroffenen lebten Schätzungen zufolge ausschließlich auf der Straße. Jährlich gebe es in der Landeshauptstadt rund 650 Räumungsklagen, rund 450 davon würden vollstreckt.

Der Andrang an den ersten beiden Tagen der Tafelwoche war nicht so groß wie erwartet. Doch wenn es sich in der Stadt herumspricht, könnte die Kreuzkirche einmal im Jahr für eine Woche lang eine feste Größe für Obdachlose werden. Zumindest schließt Superintendent Behr eine Wiederholung der Tafelwoche für 2017 nicht aus.


Quelle:
epd