Ärzte ohne Grenzen warnen vor Nachlässigkeit bei Ebola

"Jeder Infizierte ist ein Risiko"

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Ebola-Epidemie in Westafrika offiziell für beendet erklärt. Dennoch treten vereinzelt neue Fälle auf. Der Vize-Vorstandsvorsitzende von Ärzte ohne Grenzen, Maximilian Gertler, mahnt zur Wachsamkeit. 

Autor/in:
Anna Mertens
Zeichnungen in Liberia warnen vor Ebola-Ansteckung / © Ahmed Jallanzo (dpa)
Zeichnungen in Liberia warnen vor Ebola-Ansteckung / © Ahmed Jallanzo ( dpa )

KNA (Katholische Nachrichten-Agentur): Herr Gertler, die Epidemie ist offiziell beendet, andererseits tauchen immer wieder neue Fälle auf, was heißt das?

Gertler (Vize-Vorstandsvorsitzender von Ärzte ohne Grenze): Das offizielle Ende der Ebola-Epidemie definiert die WHO als 42 Tage ohne neuen Infektionsfall, das entspricht zweimal der Inkubationszeit von 21 Tagen. Diese epidemiologische Festlegung basiert auf den Erfahrungen der früheren, viel kleineren Ausbrüche. Wir haben aber aus der aktuellen großen Epidemie gelernt, dass offenbar in seltenen Fällen Ebola-Überlebende auch später noch andere Personen infizieren können. Für diese Situationen müssen auch nach einem formalen Epidemieende sofort Kapazitäten bereitstehen, die eine Weiterverbreitung verhindern.

KNA: Ist es dann überhaupt sinnvoll, die Epidemie für beendet zu erklären?

Gertler: Die Frage ist berechtigt. Die formalen Kriterien waren in allen drei Ländern erfüllt. Doch die WHO selbst hatte zugleich mitgeteilt, dass mit dem offiziellen Ende der Epidemie nicht garantiert ist, dass es nicht zu weiteren Fällen kommt.

KNA: Wie steht es um die Gefahr, dass sich das Virus im Körper eines Geheilten reaktiviert?

Gertler: Wir lernen seit dem aktuellen Ausbruch ununterbrochen dazu, besonders was das Überleben von Viren in Quasi-Verstecken im Körper angeht. Offenbar kann das Ebolavirus über mehrere Monate nicht nur in der Samenflüssigkeit, sondern auch im Auge und Nervengewebe überleben und in sehr seltenen Fällen zu erneuter Erkrankung und Infektiösität führen.

KNA: Wie geht man damit um?

Gertler: Das ist eine große Herausforderung. Es kommt offenbar selten vor und bei den bisherigen Ausbrüchen hat es keine Rolle gespielt. Jetzt haben wir aber mehr als 14.000 Überlebende, und wenn auch nur jeder Hundertste das Virus weiter mit sich herumträgt, ist das natürlich eine beträchtliche Anzahl. Leider haben wir bislang nur begrenzte Kenntnis darüber, bei wem das Virus länger überlebt.

KNA: Die Gesundheitssysteme sollen mit internationaler Hilfe gestärkt werden, ist davon bereits etwas sichtbar?

Gertler: Man sieht schon, dass etwa bei den deutschen Ministerien einiges in Bewegung geraten ist. Aber entscheidend sind die Kapazitäten vor Ort. Ich erinnere mich gut an viele Gesundheitsposten im Hinterland Guineas, da gibt es kaum Materialien für die Diagnostik und Medikamente, oft noch weniger ausgebildetes Personal. Das Teuflische bei diesem Ausbruch war, dass die Gesundheitsversorgung in den drei Ländern so schwach war, dass über Monate niemand die Gefahr erkannt hat und die Welt zu lange zugesehen hat.

KNA: Gibt es denn ein Umdenken in den Regionen?

Gertler: Die junge Frau, die jüngst an Ebola gestorben ist, war kurz vor ihrem Tod in einem Gesundheitszentrum in Sierra Leone und ist mit Fiebertabletten wieder entlassen worden. Offenbar wurde nicht daran gedacht, sie auf Ebola zu testen oder sie zu isolieren. Das zeigt auf fatale Weise, wie schnell das Wissen über die Infektion vergessen wird.

KNA: Das heißt, die Aufklärung muss weitergehen?

Gertler: Unbedingt. Jeder muss wahnsinnig wachsam sein, und das Gesundheitspersonal muss weiter trainiert und fortgebildet werden. Man will sich nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn diese Frau ohne Isolierung auf eine Krankenstation aufgenommen worden wäre.

KNA: Ärzte ohne Grenzen gehörte zu den Organisationen, die die Seuche eingedämmt haben. Welche Aufgabe sehen Sie jetzt für Ihre Organisation?

Gertler: Wir sind weiterhin vor Ort und impfen derzeit die Kontaktpersonen der neuen Patienten. Wir haben sogenannte Survivor Clinics eingerichtet. Dort werden die Ebola-Überlebenden versorgt, die nicht nur mit psychischen Traumatisierungen, sondern auch mit teils schweren körperlichen Schäden zu kämpfen haben. Darüber hinaus richten wir Basisgesundheitsstationen ein, ebenso wie Geburtskliniken und Kinderkliniken. Wir werden auf jeden Fall noch länger in diesen Ländern bleiben.

KNA: Sehen Sie Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung und der Erforschung von Medikamenten?

Gertler: In keiner der Medikamentenstudien konnte bislang eine kausal wirksame Ebolabehandlung nachgewiesen werden. Ein Impfstoff hat eine sehr positive Wirkung gezeigt, das ist ein großer Erfolg. Dieser Impfstoff wird auch weiter genutzt, um etwa die Kontaktpersonen von Infizierten zu impfen. Die für die Studien erhobenen Daten reichen aber nicht, um etwa die Kriterien der Arzneimittelbehörden zu erfüllen. Leider wurde mit dem verspäteten Eingreifen auch die Chance verpasst, zu einem Zeitpunkt zu forschen, als es noch genug Erkrankte gab.

KNA: Die G7-Staaten haben hier mehr Unterstützung zugesagt.

Gertler: Schon nach der schweren Cholera-Epidemie 2010 in Haiti gab es solche Absichtserklärungen, vier Jahre später stand die Welt hilflos vor Ebola. Es darf nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben.

KNA: Wie groß ist das Risiko ähnlicher Epidemien in der Zukunft?

Gertler: Das Risiko besteht, und die Vorbeugung ist ungemein wichtig. Über das Zika-Virus lernen wir erst in den letzten Monaten, dass es vielleicht viel gefährlicher ist als man jahrzehntelang annahm. Wir müssen uns auch mit den vernachlässigten Infektionskrankheiten befassen, die vor allem arme Menschen in abgelegenen Regionen betreffen. Und in vielen Ländern sterben schon jetzt massenhaft Menschen an einer bei uns banalen Krankheit wie den Masern, gegen die geimpft werden kann.


Schwestern und Ärzte in Liberia feieren Ebola-Freiheit / © Ahmed Jallanzo (dpa)
Schwestern und Ärzte in Liberia feieren Ebola-Freiheit / © Ahmed Jallanzo ( dpa )
Quelle:
KNA