Medienexperte kritisiert Berichterstattung zu Anschlägen in Paris

Folgen des Marktdrucks

Fotos von den Opfern in der Pariser Bataclan-Konzerthalle - eine deutsche Boulevardzeitung druckte sie ab. Für den Medienexperten Bruder Paulus Terwitte driftet die Berichterstattung bisweilen ins Maßlose ab, wie er gegenüber domradio.de erklärte.

Bruder Paulus Terwitte (KNA)
Bruder Paulus Terwitte / ( KNA )

domradio.de: Inwiefern spielen die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates mit den Medien?

Bruder Paulus Terwitte: Die Medien brauchen natürlich das, was außergewöhnlich ist. Je schlimmer etwas ist und je unsäglicher das Leid ist, desto mehr muss darüber berichtet werden. So sieht die Logik der Medien in einer Welt aus, in der doch eigentliches vieles in Ordnung. Es muss dann aber gezeigt werden, was nicht in Ordnung ist. Und leider, leider ist die Grausamkeit eine "gute Nachricht".

domradio.de: Wo sind die Grenzen zwischen Berichterstattung und eben diesem den Terroristen in die Hände spielen?

Bruder Paulus Terwitte: Ich habe jetzt auch diese Zeitungsmeldungen verfolgt, beobachte das Internet und schaue Nachrichtensendungen und frage mich, ob das nicht auch ein bisschen übertrieben ist. Ich stelle fest, dass es zu viel Berichterstattung gibt. Wir brauchen nicht zum hundertsten Mal zu hören, wie jemand verzweifelt ist und weint. Es reichen auch drei Bilder, es müssen nicht 20 sein. Eine Verwüstung kann man sich auch vorstellen, ohne dass man Bilder sieht, auf denen sogar noch die Toten abgebildet sind. Ich glaube, dass die Medien in diesen Tagen die Aufgabe der ruhigen, verhaltenen und besonnenen Aufklärung haben. Wir müssen wissen, was da geschehen ist. Aber gleichzeitig müssen sie uns auch davor schützen, dass wir denken, da ist jetzt etwas geschehen, was es vorher noch nie gegeben hat und was so schlimm ist, dass die ganze Welt bedroht ist.

domradio.de: Wenn so eine Katastrophe passiert, inwiefern tragen die Medien dazu bei, dass sich auch die Rhetorik immer weiter hochschaukelt? Am Ende war dann sogar aus dem Munde des Papstes am Wochenende vom dritten Weltkrieg zu hören.

Bruder Paulus Terwitte: Ich glaube, dass man in dieser Situation einfach Wörter finden muss, für das, was noch nie dagewesen ist. Dass aus Kriegsregionen Gewalttaten, die dort an der Tagesordnung sind, mitten in das Herz von Europa transportiert werden, ist sicher eine neue Dimension. Aber wenn wir die Dimension wissen, dann kennen wir die auch.  Und wir müssen natürlich auch wissen, dass Sicherheitsmaßnahmen nicht dazu geführt haben, solche Aktionen plötzlich unmöglich zu machen. Auch über diese Verwundbarkeit unserer eigenen Sicherheit muss berichtet werden. Das ist überhaupt keine Frage. Dadurch dass im Medienbereich sehr viel privatisiert ist und auch Geld verdient werden muss, wird natürlich immer mehr davon gesprochen. Es muss offenbar immer mehr davon gezeigt werden, damit man noch mehr Sendezeiten hat und noch mehr Kapazitäten nutzen kann. Hier existiert sicher auch bei den Medien ein Marktdruck.

domradio.de: Es gibt jetzt immer wieder neue Experten und Warnungen vor neuen Anschlägen. Wohin führt das? Begeben wir uns in kollektive Angst?

Bruder Paulus Terwitte: Tatsächlich bin ich auch selber verunsichert, weil ich diese Experten registriere und mich frage, warum sie ständig im Fernsehen zu hören sind und ständig in den Medien Präsenz zeigen. Sind sie nicht genug gehört worden? Und sind sie am Ende von den Praktikern der Politik und des Sicherheitsdenkens unseres Staates einfach nicht als die Fachleute anerkannt? Da gibt es sicherlich auch Menschen die sich als sogenannte Experten profilieren wollen, die nun eine Plattform bekommen. Ich würde mir wünschen, dass da auch von Seiten der Politik die Besonnenheit, die jetzt notwendig ist, dadurch gefüttert wird, dass man in einer ordentlichen Medien- und Öffentlichkeitsarbeit das Für und Wider von Sicherheitsmaßnahmen in unserem Staat darstellt.

Das Interview führte Dr. Christian Schlegel.


Quelle:
DR