Ärzte ohne Grenzen zur Flüchtlingssituation auf Kos

"Deutschland müsste unterstützen"

Auf der griechischen Insel Kos mussten Flüchtlinge in der Hitze ausharren. Am Donnerstag wurden viele nach Athen gebracht. Aber es fehle eine dauerhafte Lösung, erzählt Florian Westphal von Ärzte ohne Grenzen im domradio.de-Gespräch.

Flüchtlinge am 16.7.15 auf Kos (dpa)
Flüchtlinge am 16.7.15 auf Kos / ( dpa )

domradio.de: Wie chaotisch ist die Lage auf Kos?

Florian Westphal (Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen): Glücklicherweise hat sich die Lage um das Stadion in Kos entspannt. Da waren heute Vormittag 100 bis 150 Neuankömmlinge, die vor dem Stadion auf ihre Registrierung gewartet haben. Zum Glück ist es nicht mehr so wie noch gestern und vorgestern, dass 2.000 Menschen in dem Stadion festgehalten werden.

domradio.de: Zu diesem Stadion wurden die Flüchtlinge von den Behörden gebracht?

Westphal: Genau. Und das Problem war, dass es dort überhaupt keine Versorgung gab - noch nicht einmal Trinkwasser. Keine hygienischen Einrichtungen, aber auch keine Informationen. Die Menschen wollen ja wissen, wie es weiter geht. Viele warten ja Stunden und Tage darauf, dass sie die nötigen Papiere ausgestellt bekommen, um von Kos weiterreisen zu können.  

domradio.de: Kos ist eine Ferieninsel. Die Flüchtlinge kommen überwiegend in Booten aus der Türkei dorthin und wollen dann weiter in andere europäische Länder. Warum sind die Griechen aktuell so überfordert mit der Situation?  

Westphal: Das wundert uns auch. Wir haben die Behörden auf der Insel schon seit April darauf hingewiesen, dass Vieles nicht funktioniert. Wir wissen natürlich auch, dass Griechenland momentan wirtschaftliche Probleme hat. Aber trotzdem finden wir, dass die Grundlagen - Hygiene und Trinkwasser - von den Behörden hätten geleistet werden müssen. Wir finden aber auch, dass die Europäische Union als Ganzes in der Verantwortung steht. Das heißt, die EU und auch Deutschland müssten unterstützen. 

domradio.de: Gibt es Gelder, die zur Verfügung stehen und von den Griechen nicht abgerufen werden?  

Westphal: Die EU hat ja Anfang der Woche angekündigt, dass für Griechenland und Italien vorrangig eine ganze Menge Geld für den Zeitraum 2014 bis 2020 zur Verfügung stehe. Inwieweit das in Anspruch genommen worden ist, weiß ich nicht. Wenn man sich die Situation anschaut und sieht, wie menschenunwürdig mit den Menschen umgegangen wird, dann ist einem klar, dass die Ressourcen vor Ort dringend gestärkt werden müssen.

domradio.de: Es gibt Gerüchte, dass der Bürgermeister von Kos gesagt haben soll, die Flüchtlinge sollten sich auf der  Insel am besten gar nicht erst wohlfühlen, damit sie schnell wieder weggehen. Haben Sie davon etwas gehört?  

Westphal: Ich habe davon gehört, dass argumentiert werde, wenn es zu bequem sei, kämen nur mehr Flüchtlinge. Das ist hanebüchen. Es handelt sich größtenteils um Leute, die aus Syrien, aus Afghanistan, aus Eritrea vor extremer Verfolgung geflüchtet sind. Wir haben immer wieder gesehen, dass sie keine andere Alternative haben, als nach Europa zu kommen. Da ihnen die EU keine Möglichkeit gibt, dies auf sicherem und legalem Weg zu tun, bleibt ihnen nichts anderen übrig, als sich in die Hände von Schmugglern zu begeben und auf diesem hochriskanten Weg zu versuchen, nach Europa zu gelangen. 

domradio.de: Heute ist eine Fähre nach Kos gekommen und hat 1.300 Menschen nach Athen gebracht. Dort werden weitere 600 Menschen von verschiedenen anderen Inseln in der Ägäis erwartet. Ist das ein richtiger Schritt in Ihren Augen?  

Westphal: Alles, was dazu beiträgt, dass diese sehr angespannte Situation auf Kos etwas entspannt wird, ist natürlich gut. Aber eine Lösung muss auch dauerhaft sein. Denn es deutet nichts darauf hin, dass die Zahl der Flüchtlinge geringer werden wird. Und man darf nie vergessen: In der Türkei leben allein aus Syrien 1,6 Millionen Flüchtlinge. Dazu kommen noch weitere Menschen, die über die Türkei den Weg nach Europa suchen.

Unter den Syrern wird ja im Grunde auch jeder Asylantrag in Deutschland bewilligt. Trotzdem ermöglicht man ihnen nicht, über einen sicheren Weg in die EU zu kommen. Einerseits erkennt man sie als wirkliche Flüchtlinge an, andererseits macht man es ihnen so schwer wie möglich, einen Asylantrag zu stellen. Das macht keinen Sinn.  

domradio.de: Was machen Ihre Mitarbeiter vor Ort auf Kos?

Westphal: Wir leisten vor allem medizinische Hilfe - mit mobilen Kliniken. Wir haben uns zum Beispiel in den letzten 24 Stunden um die Menschen gekümmert, die unter der extremen Hitze gelitten haben, die teilweise zusammengebrochen sind. Wir kümmern uns außerdem um hunderte von Flüchtlingen, die zumindest zeitweilig in einem alten Hotel Unterschlupf finden.

 

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR