Pfarrer in Athen stärkt deutsch-griechischen Jugendaustausch

Versöhnung und Diakonie

Die Fortschritte im griechischen Schuldendrama lassen den Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Athen, René Lammer, aufatmen. Der Reformdruck für gerechte Verhältnisse müsse unbedingt bestehen bleiben, mahnt er.

Graffiti: Kein Land für Arme (dpa)
Graffiti: Kein Land für Arme / ( dpa )

domradio.de: Was war Ihr erster Gedanke als Sie von dem Kompromiss gehört haben?

René Lammer (Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Athen): Das ist natürlich eine große Erleichterung gewesen. Wenn gleich keiner ernsthaft damit gerechnet hat, dass die Verhandlungen in letzter Minute noch platzen würden. Wir hatten alle das Gefühl, es geht hier um ein großes Poker-Spiel, wo aber doch beide Seiten wissen, sie müssen sich am Ende an den Tisch setzen. Und das ist nicht das Ende der ganzen Partie gewesen. Das konnte es nicht sein, es steht einfach viel zu viel auf dem Spiel. Auch die Menschen hier in meiner Umgebung, die eher furchtsam gewesen sind, haben doch alle gesagt, wir denken, es wird gut gehen.

domradio.de: Neue Hilfen gegen strenge Auflagen - so kann man die Einigung wohl auf den Punkt bringen. Und das heißt: Tsipras hat jetzt selbst Dingen zugestimmt, zu denen die Griechen beim Referendum am vergangenen Sonntag klar "Nein" gesagt haben. Tsipras selbst hatte - wir erinnern uns - für dieses "Nein" geworben. Wie kommt das bei den Menschen in Griechenland an?

Pfarrer Lammer: Ich glaube, es wird nicht schlecht ankommen, weil Tsipras in allem doch den Eintrag macht, dass er aufrecht ist und hier in Griechenland einen weitaus besseren Eindruck hinterlässt als in Resteuropa. Dass man schon glaubt, dass er sehr ernsthaft und sich sehr engagiert für die Interessen der Griechen eingesetzt hat.

Die Tatsache, dass er noch schnell die Opposition mit ins Boot geholt hat, brachte ihm ja sozusagen die ganz große Einigung in den Rücken. Ich glaube, das wird man ihm nicht übel nehmen, dass er jetzt doch einen Kompromiss machen musste.

Die Griechen haben immer gewusst, dass es hier auf einen Kompromiss hinauslaufen würde und haben nie gedacht, dass sie die ganzen Maximalforderungen durchsetzen können. Da sind sie auch zu realistisch letzten Endes dafür. Ich glaube, es ist etwas. Sie spüren jetzt, wir haben uns bei der ganzen Sache so teuer wie möglich "verkauft".

domradio.de: Seit Wochen schon spucken die griechischen Geldautomaten nur 60 Euro pro Tag und Person aus -  wie besorgt haben Sie die Athener vor diesem letzten Verhandlungsmarathon erlebt?

Pfarrer Lammer: Besorgt sind sie auf jeden Fall und jeder hat versucht so viel Geld abzuheben, wie er eben nur konnte, aber das ist jetzt eine Minderheit geworden, die sich jeden Tag 60 Euro abheben können. Da kommen Sie ja im Monat auf 1800 Euro und das haben wirklich nur noch wenige Personen. Ich glaube, was eine große Erleichterung ist, dass das Sparguthaben hier in Griechenland jetzt nicht gefährdet ist. Ich bin mir relativ sicher, dass jetzt schnell wieder Geld zurückfliessen wird, wenn sich die Sache stabilisiert hat. Und dann hoffen wir natürlich ganz stark darauf, dass jetzt diese 35 Milliarden Euro nun auch abgefragt werden können, die als EU-Fördermittel zur Verfügung stehen. Griechenland kann so doch seinen Eigenanteil leisten.

Dann hoffen wir natürlich, dass es hier wirklich ein Investitionsprogramm gibt, was Impulse in die Wirtschaft reinsetzt und was dann dazu führt, dass wir hier ein Wirtschaftswachstum hinbekommen und jetzt wirklich die Talsohle durchschritten ist.

Wenn das passieren sollte, dann wird natürlich Tsipras der strahlende Held bei der Geschichte sein, wobei dann die große Gefahr vielleicht erst anfängt: Nämlich dass die Reformen, die notwendig sind - und jetzt verwechseln Sie bitte nicht Reformen mit neuen Sparauflagen - sondern die notwendigen Reformen, um hier Korruption zu vertreiben, um den Steuerbetrug zu vertreiben, um ein gerechtes Steuersystem zu etablieren, dass sie dann letzten Endes doch nicht durchgezogen werden, sondern dass es weiter bloß unter anderen Vorzeichen eine Klientelwirtschaft ist.

Was wir jetzt unbedingt brauchen, ist, dass der Reformdruck bestehen bleibt, aber eben nicht im Sinne von mehr Sparauflagen, sondern von Schaffung von gerechten Verhältnissen, die einem modernen europäischen Staat angemessen sind.

domradio.de: Das wird natürlich nicht von heute auf morgen gehen, das wird ein langer Prozess sein.

Lammer: Ganz sicherlich.

domradio.de: Richten Sie sich darauf ein, dass Sie als Gemeinde jetzt Ihre sozialen Angebote verstärken müssen?

Lammer: Damit rechnen wir im Grunde genommen schon, wobei wir uns jetzt ganz besonders stark auf ein freiwilliges Austauschprogramm konzentrieren. ELanDe heißt das, wir wollen das in das Deutsch-Griechische Jugendwerk hinein integrieren. Da gehen Jugendliche aus Deutschland in die diakonischen Einrichtungen der orthodoxen Kirche und auch anderer befreundeter evangelischer Kirchen mithinein. Wir wollen sozusagen mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Junge Leute kommen als Botschafter Deutschlands hierher für ein Versöhnungswerk und gleichzeitig arbeiten sie diakonisch, wo das Leid am größten ist, bei jugendlichen Migranten, die hier stranden oder aber auch bei Alzheimerpatienten oder Psychisch-Erkrankten, wo immer sozusagen besonders gespart worden ist in den letzten Jahren. Dort helfen wir freiwillig mit unserem Programm. Das wird ein Schwergewicht für die Zukunft sein und da sind wir auch sehr zuversichtlich, dass das klappen wird.

Auf der anderen Seite schicken wir zehn Jugendliche hier von Griechenland nach Deutschland und sie arbeiten dort in diakonischen Einrichtungen, auch da wollen wir einen Austausch einfach sicherstellen und was uns besonders am Herzen liegt, dass wirklich Versöhnungsarbeit geleistet werden kann zwischen den Völkern und dass das nicht in Verhärtung hinausläuft und in Vorurteile, die letzten Endes Europa nur schaden können.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR