Teure Versicherungen machen Hebammen zu schaffen

"Die Zukunft ist ein Fließband im Kreißsaal"

Geboren wird immer. Trotzdem gibt es immer weniger Hebammen. Sonja Liggett-Igelmund, Hebamme in Köln, bemängelte am Internationalen Hebammentag am Dienstag, dass die Geburtshelferinnen kaum noch kostendeckend arbeiten können.

Eine Hebamme untersucht eine schwangere Frau (dpa)
Eine Hebamme untersucht eine schwangere Frau / ( dpa )

domradio.de: Es gibt freiberufliche Hebammen und in Krankenhäusern auch weiterhin festangestellte Hebammen. Aber auch die werden immer weniger. Auch die müssen sich selbst versichern, oder?

Sonja Liggett-Igelmund (selbstständige Hebamme in Köln): Das ist richtig. Und es ist auch so, dass in Kreißsälen die Hebammen überlastet sind, weil immer mehr Frauen zur Geburt in den Kreißsaal gehen. Die möchten von den Hebammen dort betreut werden. Aber das ist gar nicht mehr möglich. Die Frau ist dann die meiste Zeit im Kreißsaal alleine und die Hebamme springt zur Geburt rein und ist dann auch schon wieder weg, um andere Arbeiten zu erledigen. Die Frauen, die in den Kreißsaal gehen, haben keine Garantie darauf, dass eine Hebamme für viele Stunden dabei ist und Händchen hält.

domradio.de: Vor der Geburt unserer Kinder hätte ich vielleicht auch gesagt: Die Vorsorge macht der Frauenarzt, Geburt und Nachsorge organisiert das Krankenhaus. Wieso reicht das nicht?

Liggett-Igelmund: Man muss ja sagen, dass Kinder heute nicht mehr in Großfamilien geboren werden. Die Hebamme muss da viel auffangen. Die muss viel beraten, von ihrer Erfahrung berichten, den Frauen Mut machen und die vielen Fragen beantworten, für die es beim Frauenarzt keine Zeit gibt. Die Frauen haben viele Fragen, sie wollen gut auf die Geburt vorbereitet sein. Und dafür braucht man die freiberufliche Hebamme. Bei der Geburt ist es natürlich gut, wenn die eigene Hebamme Zeit hat. 

Und wenn das Kind geboren ist, gibt es wieder viele Fragen. Es gibt ja nicht die Großfamilie, die zum Beispiel beim Stillen hilft. Die Hebamme fängt da sehr viel auf. Im Wochenbett kann man ja viele Probleme haben, sei es ein Milchstau oder dass der Bauchnabel des Kindes seltsam aussieht. Das Feld der Arbeit für die Hebamme ist da riesengroß. Und wenn die Frauen mit jeder Frage zum Gynäkologen oder Kinderarzt gehen würden, würden die Praxen zusammenbrechen.

domradio.de: Die immer weiter steigenden Beiträge für die Haftpflichtversicherung machen Ihrem Berufsstand zu schaffen. Vielleicht mal ein Beispiel: 1981 zahlten Ihre Kolleginnen einen Versicherungs-Jahresbeitrag von 31 Euro, ab dem 1. Juli dieses Jahres sind es 7842 Euro. Damit können Sie kaum noch kostendeckend arbeiten, oder?

Liggett-Igelmund: Nein, man kann als freiberufliche Hebamme nicht kostendeckend arbeiten. Das Problem bei der Haftpflichtversicherung ist nicht, dass es mehr Schadensfälle gibt. Das Problem ist, dass die Krankenkassen sagen, wenn ein Kind nach der Geburt ein Problem hat, dann möchten wir das nicht bezahlen. Dieses Kind ist ausgeschlossen von der Solidargemeinschaft der Beitragszahler. Die Krankenkassen möchten so lange suchen, bis sie den Fehler bei der Hebamme finden, damit die zahlen muss.

Ich weiß gar nicht, wie es passieren konnte, dass die Krankenkassen die Kinder aus der Solidargemeinschaft nehmen. Es gibt ganz schlimme Gerichtsurteile, bei denen Hebammen, obwohl sie alles richtig gemacht haben, aber einen Satz nicht geschrieben haben, plötzlich für Fehler von Ärzten haften. Und deshalb sind diese Haftpflichtprämien so unfassbar hoch. Die Versicherungen können damit nichts verdienen. Deswegen findet sich auch fast kein Versicherer mehr, der Hebammen absichert.

Die Krankenkassen zahlen den Hebammen auf der einen Seite ein sehr geringes Gehalt zahlen, obwohl die Verantwortung riesengroß ist. Auf der anderen Seite zahlen die Hebammen noch drauf, wenn ein Kind behandlungspflichtig wird. Wenn bei einer Geburt ein Kind beispielsweise einen Sauerstoffmangel erleidet, kann man davon ausgehen, dass die Hebamme ein Leben lang darunter leidet. Aber das alleine reicht als Strafe nicht. Es wird noch versucht herauszufinden, ob sie nicht vielleicht wirklich schuldig ist an der Situation. Vielleicht verliert sie dann alles, weil sie nicht hoch genug versichert ist. Die neueste Entwicklung ist die, dass die Krankenkassen die Geburt in einem Geburtshaus nicht mehr bezahlen wollen, wenn die Geburt nach dem errechneten Termin ist. Das macht keinen Sinn, denn nur drei Prozent der Kinder werden am errechneten Termin geboren - die anderen davor oder danach. Diese Entwicklung ist eine Farce.

domradio.de: Die Haftpflichtversicherung ist ja nur so hoch für die Hebammen, die Geburtshilfe anbieten. Also mal so herum gefragt: Hebammen könnten Ihren Aufgabenschwerpunkt doch verlagern hin zu Vorsorge, Nachsorge, Geburtsvorbereitungskurse, Stillberatung, Rückbildung, Beikostkurse und so weiter. Könnte nicht so das Berufsbild der Hebamme in ein paar Jahren aussehen?

Liggett-Igelmund: Um die Hebammen mache ich mir keine Sorgen. Wir können auch alle im Fitnessstudio arbeiten oder im Callcenter. Das Problem sind die Frauen, die keine Betreuung mehr haben. Es sind die Frauen, die sagen sollten, wenn ich ein Baby bekomme, möchte ich das so, wie ich es mir wünsche und nicht so, wie die Kasse es bezahlt. Die Zukunft ist ein Fließband im Kreißsaal - ohne individuelle Betreuung. Das führt zu Traumatisierungen bei der Geburt und wieder mehr Schäden bei der Geburt. Die Zukunft der gebärenden Frauen ist das Problem. Hebammen sind Powerfrauen, die auch anders arbeiten können.

 

Die Fragen stellte Tobias Fricke.


Quelle:
DR