SKM-Kampagne zur Armutsbekämpfung eröffnet

"Der Mensch am Rand ist unsere Mitte"

Mit einer Armutskonferenz der SKM-Bundesverband die bundesweite Kampagne gegen Armut "Der Mensch am Rand ist unsere Mitte" eröffnet. Sie richtet sich ein Jahr lang an die deutsche Bevölkerung, an Politik und Kirche.

Armut geht uns alle an (dpa)
Armut geht uns alle an / ( dpa )

"Es gilt, allen Menschen die aktive Teilhabe an der Gesellschaft zu öffnen. Wir wollen mit den betroffenen Menschen Armut und ihre Ursachen sichtbar machen. Wir wollen einen wirksamen Beitrag zur Überwindung der Armut leisten. Armut beraubt Menschen ihrer Würde und bleibt ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft." Mit diesem Statement eröffnete Ludger Urbic, Bundesvorsitzender des SKM – Katholischer Verband für soziale Dienste in Deutschland-Bundesverband e. V., die heutige SKM-Armutskonferenz. Im Maternushaus in Köln informierten sich rund 100 Gäste aus Sozial- und Fachverbänden sowie Verwaltung und Gesellschaft. Sie diskutierten über das steigende Armutsrisiko in Deutschland. Die Konferenz bildete den Auftakt für die ca. einjährige SKM-Kampagne gegen Armut "Der Mensch am Rand ist unsere Mitte".

Acht Pfeiler der Politik zur Armutsbekämpfung

Der Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes, Prof. Dr. Georg Cremer, stellte acht Pfeiler der Politik zur Armutsbekämpfung vor. Dabei bildete die Basis seiner Handlungsvorschläge, dass die Armutsrisiken exakt zu erfassen seien, um ihnen Herr werden zu können. Cremer betonte, dass Armutsindikatoren immer in Abhängigkeit mit den sozialen Hilfesystemen ständen. Je mehr Menschen das Sozialsystem Hilfe zugesteht, umso größer werde die Statistik der als arm einzustufenden Personen. Die staatliche Handlungsfähigkeit sei zu sichern. Zu einer Armutsbekämpfungspolitik gehörten neben einem sicheren Lebensunterhalt die selbstbestimmte Teilhabe an der Gesellschaft, ein chancengerechtes Bildungssystem, geschlossene Lücken im sozialen Netz und eine effektive Unterstützung in spezifischen Lebenslagen wie das Entgegenwirken von Wohnungslosigkeit oder ein funktionierendes Gesundheitssystem.

Regina Dolores Stieler-Hinz, Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmerbewegung – KAB, zeigte, dass wirtschaftliches Wachstum in keiner Weise der Mittelschicht und schon gar nicht den Armen einer Gesellschaft zugutekommt. "Die aktuelle Auswertung der Industrieländerorganisation OECD belegt, dass die untere Mittelschicht ihr Haushaltseinkommen in den Jahren 1995 bis 2011 im Schnitt nur um 0,17 Prozentpunkte steigern konnte. Ganz zu schweigen von den Armen in unserer Gesellschaft. Sie profitierten nur zu 0,05 Prozent am Wirtschaftswachstum. Demgegenüber schafften Wohlhabende eine Einkommenssteigerung über 1 Prozent, also das Zweihundertfache," erläuterte Stieler-Hinz. Die Wirtschaft habe sich im Niedriglohnsektor eingerichtet und Arbeitnehmer seien mehr und mehr bereit, sich ausbeuten zu lassen, um ihre Existenz durch Jobverlust nicht zu gefährden. Zusätzlich gab die KAB-Bundesvorsitzende zu bedenken, dass in unserer Gesellschaft nur Erwerbsarbeit als Arbeit zähle. Ehrenamt und Pflegetätigkeit, ohne die diese Gesellschaft nicht funktionieren könnte, fehle diese Anerkennung.
Diesen Missständen könne durch ein garantiertes Grundeinkommen entgegengewirkt werden. Das Grundeinkommen sichere das soziokulturelle Existenzminimum für jeden Menschen von Geburt an bis zum Tode. Es richtet sich in seiner Höhe nach der Armutsrisikoschwelle, d. h., der Anreiz, einer Erwerbsarbeit auch weiterhin nachzugehen, um den Lebensstandard zu erhöhen, bleibt bestehen.

Beindruckender Bericht einer Betroffenen

Beeindruckend berichtete die von Armut selbst betroffene Christine Schultis am Nachmittag von ihrem Leben. Von dem eigenen Haus mit Putzfrau und Au-pair zu einem Leben, zu dem Rechnen zum Alltag gehört. Sie berichtete von demotivierenden Behördengängen, dem beschämenden Gefühl, in einer kleinen Dorfgemeinschaft arm zu sein. "Man nimmt manches nicht in Anspruch, damit man nicht ins Gerede kommt", sagt die vierfache alleinerziehende Mutter. Doch auch Unglaubliches weiß sie zu erzählen. So wurde das durch Zusatzjobs erwirtschaftete Geld ihrer Söhne, die beide noch in die Schule gingen und sich ein Taschengeld verdienen wollten, das die Mutter ihnen nicht geben konnte, auf die Sozialleistungen angerechnet und vom Gesamtsatz abgezogen. Nicht nur das, bis heute muss Christine Schultis Geld zurückzahlen, weil sie angeblich zu viel Sozialhilfe bekommen habe. Mittlerweile hat sie eine Anstellung als Projektleiterin eines Tafelgartens in der Nähe von Freiburg. Dort gibt sie Langzeitarbeitslosen eine Chance. "Leider nur auf Zeit. Denn die Arbeit ist auf zwei Jahre befristet. Die Betroffenen fallen danach meist in ein großes Loch."

Auf dem Podium diskutierten Ludger Urbic, Erhard Beckers (Geschäftsführer des SKM Krefeld e. V. und Mitglied der Nationalen Armutskommission), Christine Schultis, Regina Dolores Stieler-Hinz und Prof. Dr. Georg Cremer über Möglichkeiten, der anwachsenden Armut in Deutschland zu begegnen. Aber auch über Fehlberatungen und -entscheidungen in den Ämtern wurde debattiert, die für Betroffene häufig echte materielle und auch seelische Not bedeuten. Gäste aus dem Plenum nahmen rege an der Diskussion teil. Ein Stuhl auf dem Podium war ihnen vorbehalten und er war abwechselnd immer besetzt.

Durch den Tag und die Diskussion führte Moderator Tom Hegermann (WDR). Lebensberichte von Menschen, die in Armut geraten sind, ergänzten die Konferenz. Vorgetragen wurden diese von der Künstlerin Stefanie Klingemann.
Der zweite Meilenstein der Kampagne ist die dezentrale Veranstaltung am 17. 10. 2015 in ganz Deutschland anlässlich des Welttags zur Überwindung der Armut der vereinten Nationen.


Quelle:
SKM