Jesuiten-Flüchtlingsdienst kritisiert Ziele des EU-Sondergipfels

"Man muss legale Wege öffnen"

Über eine Lösung der Flüchtlingsproblematik am Mittelmeer beraten die EU-Regierungschefs auf auf einem Sondergipfel in Brüssel. Für Heiko Habbe vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst sind die Lösungsansätze unzureichend, wie er im domradio.de-Interview ausführt.

Gerettete Bootsflüchtlinge (dpa)
Gerettete Bootsflüchtlinge / ( dpa )

domradio: Es geht um einen sogenannten "10 Punkte-Plan", mit dem die Flüchtlingsproblematik am Mittelmeer gelöst werden soll. Wie rund finden Sie denn das, was darin an Maßnahmen vorgeschlagen wird?

Heiko Habbe: Leider gar nicht, denn der Plan bleibt die Antwort auf die drängendste Frage schuldig. Er enthält keine Verpflichtung zu einer wirksamen sofortigen Seenotrettung. Das würde man sofort brauchen, um die Boote, die dort auf dem Meer sind, und die Menschen darauf rettet. An der Stelle wird nur gesagt, die Frontex-Mission "Triton" soll ausgeweitet werden. Die Schiffe, die für Frontex patrouillieren, haben kein Mandat zur Seenotrettung. Deren Aufgabe ist es, die Küsten zu überwachen.

domradio: Sie wollen zurück zu "Mare Nostrum", das über 100.000 Menschen das Leben gerettet hatte. Aus Kostengründen wurde das eingestellt und Entwicklungsminister Müller hat jetzt angekündigt, dass sein Ministerium sich finanziell an einer Wiederaufnahme beteiligen würde. Aber ist das wirklich ein zukunftsfähiges Modell, dass Reedereien, Marine und Grenzschützer eine Art "Fährbetrieb" zwischen Afrika und Europa aufrechterhalten?

Heiko Habbe: Seenotrettung ist das Gebot der Stunde. Wir sind es einfach uns selbst schuldig, dass wir diese Menschen nicht sehenden Auges ertrinken lassen. Natürlich löst das nicht alles. Wir müssen auch darüber reden, welche Wege wir öffnen können, damit die Menschen nicht in die Boote und damit den Schleppern in die Arme getrieben werden. 

domradio: Von der EU werden jetzt schnelle Lösungsansätze gefordert. Die Ursachen, warum sich Flüchtlinge überhaupt auf diese hochriskanten Reisen machen, die sind damit aber noch nicht bekämpft. An welche Möglichkeiten denken Sie, damit Flüchtlinge erst gar nicht auf die Idee kommen, ihr Leben kriminellen Schleppern anzuvertrauen?

Heiko Habbe: Es gibt keine legale Möglichkeit als Flüchtling nach Deutschland einzureisen, um hier einen Asylantrag zu stellen. Man muss legale Wege öffnen. Es geht darum, humanitäre Visa zu erteilen, damit vielleicht die Visa-Erfordernisse gelockert werden. Und es geht auch darum, dass Europa sich insgesamt stärker beim sogenannten "Resettlement" engagiert, also bei der Aufnahme von Menschen, die schon durch das UNO-Flüchtlingskommissariat als Flüchtlinge erkannt sind. 

domradio: Es kommen ja viele Flüchtlinge aus Syrien und steigen dann auf libysche Boote. Sie haben bis dahin einen großen Weg an Land zurückgelegt. Müsste die EU nicht ganz pragmatisch dafür sorgen, dass Flucht nicht auf dem Seeweg sondern auf dem Landweg funktionieren kann?

Heiko Habbe: Das wäre unbedingt wichtig. Tatsächlich passiert aber das Gegenteil. Die Landgrenze, die hier infrage kommt, ist die Grenze zur Türkei. Die Staaten, die hier eine Grenze haben, wie Griechenland und Bulgarien, haben diese Grenzen mit martialischen, festungsähnlichen Zäunen gesichert. Es gibt immer wieder Berichte von gewaltsamen Zurückschiebungen in die Türkei über die griechischen Küstengewässer und an der bulgarischen Landgrenze. Das müsste dringend aufhören. Hier müsste in der Tat ein Weg zur sicheren Einreise geöffnet werden.

domradio: Italien mit Lampedusa und Sizilien oder auch Malta fühlen sich bei der Flüchtlingsfrage alleine gelassen. Andere EU-Staaten, vor allem die nördlich gelegenen, haben mit dem Flüchtlingsthema weniger zu tun. Deutschland fordert nun schon vor dem Sondergipfel einen Verteilungsschlüssel für alle EU-Mitgliedsstaaten, damit die Flüchtlinge gleichmäßiger verteilt werden. Wie klingt das denn für Sie?

Heiko Habbe: Die Verteilung von Flüchtlingen ist eine wichtige Frage. Denn bisher gilt das Prinzip, wer die Flüchtlinge ins Land lässt, der muss sie auch behalten. So wird für Bulgarien und für Griechenland und die anderen Mittelmeerstaaten ein Anreiz gesetzt, grundsätzlich möglichst wenigen Menschen die Einreise zu ermöglichen. Eine feste Quote wird die Probleme auch nicht lösen. Denn wer es ins Innere Europas geschafft hat, findet sich häufig in einer ausweglosen Situation wieder. Wir hören Berichte von Flüchtlingen aus Bulgarien, die von Polizeigewalt erzählen oder aus Ungarn, die von willkürlicher Inhaftierung berichten. Und in Italien leben Zehntausende obdachlos auf der Straße, weil sie einfach in diesen Staaten keine Lebensperspektive und damit keinen richtigen Schutz finden. Sie dürfen die Länder aber auch nicht verlassen. Wenn sie es tun, werden sie zurückgeschoben. Dieses Problem löst man nicht, wenn man diesen Menschen einen festen Aufenthaltsort zuweist, den sie gar nicht wollen. Das Problem wird nur dann gelöst, wenn man zu einer Verteilung kommt, die die berechtigten Interessen der Flüchtlinge mit in den Blick nimmt.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR