Deutsche Seemannsmission hilft traumatisierten Seeleuten

"Matrosen können Mare Nostrum nicht ersetzen"

Matrosen zu Hilfe eilender Frachtschiffe mussten tatenlos die Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer ansehen. Dies sei grausam für die Seeleute, wie Folkert Janssen, Leiter der deutschen Seemannsmission, im domradio.de-Interview erklärt.

Flüchtlinge auf dem Mittelmeer (dpa)
Flüchtlinge auf dem Mittelmeer / ( dpa )

domradio: Seeleute, die Frachtgüter befördern, kommen immer öfter mit solchen Katastrophen, wie sie im Mittelmeer geschehen, in Berührung. Lassen Sie uns zunächst klären: Ist Hilfe auf See verpflichtend?

Folkert Janssen: So ist es. Da möchte ich gerne schon einmal eine Zahl in Erinnerung rufen. Allein im letzten Jahr wurden weltweit über 40.000 Flüchtlinge durch Seeleute auf Frachtschiffen gerettet. Das ist eine beträchtliche Zahl, die zeigt, wie sehr die Handelsschifffahrt, aber auch zum Teil die Marine in diese ganzen Katastrophen involviert ist. Und ja, es ist nicht nur seemännische Pflicht sondern auch Tugend, Menschen in Seenot zur Hilfe zu eilen.

domradio: Wie muss man sich solch eine Situation vorstellen? Was erzählen Ihnen die Seeleute?

Folkert Janssen: Seeleute sind da relativ professionell. Die wissen genau, was die Leute brauchen. Sie haben auch eine entsprechende Notausrüstung an Bord, so dass geholfen werden kann. Auf dem Weg zum Unglücksort wird schon oft auch über Satellitenfunk alles Mögliche in Bewegung gesetzt. Es wird beispielsweise nach dem nächsten Hafen Ausschau gehalten, den man anlaufen kann, damit den Menschen schnellstmöglich geholfen werden kann.

domradio: Mit traumatisierten Flüchtlingen beschäftigen sich normalerweise professionell Seelsorger oder Psychologen. Ist das etwas, was auch die Matrosen vorab schon mal leisten müssen?

Folkert Janssen: Da hilft erst einmal Menschlichkeit, ganz einfache Menschlichkeit. Es hilft, dass Menschen in den Arm genommen werden, dass sie merken, sie befinden sich nun in einem warmen Raum und können sich nun erstmal sicher fühlen. Sie sollen merken, dass hier Leute sind, die sind um einen kümmern. Das bringt Menschen ja schon zur Ruhe. Seeleute sind in dem Sinne gar nicht professionell dafür ausgebildet. Das kann man auch nicht von ihnen erwarten. 

domradio: Sie sind der Leiter der deutschen Seemannsmission in Rostock und Sie sind Diakon. Kommen Seemänner zu Ihnen, die möglicherweise selber traumatisiert sind? Die können ja gar nicht allen helfen. Manchmal müssen die einfach zuschauen, wie die Menschen vor ihren Augen ertrinken. Wie gehen die denn damit um?

Folkert Janssen: Da wird ein jeder Seemann so mit umgehen, wie wir auch damit umgehen würden oder wie es auf uns wirken würde: Bestimmt erstmal geschockt und dem Ganzem eigentlich hilflos ausgeliefert. Das ist das Dramatische an so einem Erlebnis und da sind wir dann für sie da. Es gibt seit zwei Jahren einen Grundrechtekatalog für Seeleute, wo diesen unter anderem ein Recht eingeräumt wird, bei traumatischen Ereignissen eine Begleitung zu bekommen. Es müsste einmal nachgeprüft werden, ob solche Situationen auch damit gemeint sind.

domradio: Die Forderungen an die Politik könnten also lauten: "Mare Nostrum" statt Frachter-Matrosen?

Folkert Janssen: Ganz bestimmt. Ich denke, dass die Europäische Union jetzt ganz besonders gefordert ist und dort auch entsprechend Maßnahmen ergreifen soll, die in erster Linie den Flüchtlingen dienen. Und wenn dann Seeleute aus Pflichtgefühl dieses ergänzen, dann sollte das ruhig mit in Anspruch genommen werden. Aber, höchstens als Ergänzung. Das wäre dann eine Sache, wo ich sagen würde: Natürlich ist es nicht nur Pflicht sondern auch Tugend der Seeleute, Menschen in Seenot zur Seite zu stehen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu Eigen.


Quelle:
DR