Kirche und Politik debattieren über Kirchenasyl-Zahlen

Barmherzigkeit versus Rechtstreue

Die Zahl der Kirchenasyle ist in den vergangenen Monaten gestiegen. Bundesinnenminister de Maizière reagiert mit einer konsequenten Ablehnung des Prinzips des Kirchenasyls. Die großen Kirchen widersprechen. Die Argumente im Überblick.

Autor/in:
Paula Konersmann
Kirchenasyl / © Kirchenasyl: Aktuell 200 Fälle in Deutschland
Kirchenasyl / © Kirchenasyl: Aktuell 200 Fälle in Deutschland

Marsberg im Sauerland, Eckersdorf in Oberfranken, die sächsische Stadt Bautzen - nur drei Beispiele für Orte, an denen in den vergangenen Wochen Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt wurde. Deutschlandweit gibt es momentan nach Zahlen der "Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche" 200 Fälle. 359 Personen haben demnach Unterschlupf erhalten, davon 109 Kinder (Stand: 9. Januar). Die Zahlen sind im vergangenen Jahr kontinuierlich gestiegen; im Januar 2014 waren 34 Fälle bekannt. Einen ähnlichen Anstieg gab es zuletzt zu Beginn der 1990er Jahre.

Aktuell haben die wachsenden Zahlen eine Debatte entfacht. Nach Angaben des "Spiegel" hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bei einem Treffen mit katholischen Bischöfe und der CDU vergangene Woche in Berlin gesagt: "Als Verfassungsminister lehne ich das Kirchenasyl prinzipiell und fundamental ab." Zwar habe er als Christ Verständnis dafür, dass die Kirchen "in Einzelfällen" unter dem Gesichtspunkt des Erbarmens Flüchtlinge aufnähmen. Dennoch gehe es nicht, dass sie sich eigenmächtig über bestehende Gesetze hinwegsetzten, so der Minister laut "Spiegel".

Diese Kritik bekräftigten andere Unionspolitiker, zuletzt der kirchenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Franz Josef Jung (CDU). Bereits zu Jahresbeginn hatte der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer einen behutsamen Umgang mit dem Kirchenasyl angemahnt.

Ursprünge in Vorchristlicher Zeit

Die Ursprünge des Kirchenasyls liegen bereits in vorchristlicher Zeit: Religiös-sakrale Institutionen des Asyls finden sich bei Römern und Griechen, in Israel und Ägypten sowie bei verschiedenen Naturvölkern. Auch in der Bibel stehen Hinweise auf Asylpraktiken.

Klar ist: Wer heute in der Bundesrepublik Kirchenasyl gewährt, verstößt gegen geltendes Recht. Beide Kirchen betonen, dass es nie darum gehe, einen rechtsfreien Raum zu schaffen. Bereits 1997 erklärten sie, wer sich auf diese Weise für Flüchtlinge einsetze, müsse etwaige juristische Konsequenzen tragen. Die lokalen Behörden können - rechtlich betrachtet - Flüchtlinge aus Gemeinderäumen und Kirchen herausholen lassen. Zumeist gebe es jedoch andere Lösungen, sagte der Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, am Dienstag der "Welt": "Gemeinden, die nach sorgfältiger Prüfung Kirchenasyl gewähren, stellen sich nicht über das Gesetz, sondern tragen dazu bei, den Menschenrechten zu ihrer Geltung zu verhelfen."

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm schrieb am Dienstag auf seiner Facebook-Seite nach einem Gespräch mit de Maiziere, er halte nichts von Grundsatzdiskussionen über das Kirchenasyl. "Es müssen weiterhin vor Ort gute Lösungen gefunden werden." Es sei nicht der Sinn des Kirchenasyls, das Recht auszuhebeln, denn die Herrschaft des Rechts sei etwas sehr Kostbares. Vielmehr beziehe sich das Instrument auf einzelne ausgewählte Härtefälle, die am Ende aber in rechtliche Lösungen münden sollten. "In 95 Prozent der Fälle gelingt das auch."

Nur "Ultima Ratio"

Zuvor hatte bereits SPD-Vorstandsmitglied Kerstin Griese "pauschale Kritik" am Kirchenasyl als "unangemessen" zurückgewiesen. Die Gemeinden wüssten sehr genau, "dass das Kirchenasyl keinen rechtsfreien Raum bietet", sagte die Kirchenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion am Montag. Es handle sich jedoch um "die letzte Möglichkeit, Menschen beizustehen, wenn ihrer Meinung nach staatliches Handeln die individuelle Lage einzelner Flüchtlinge missachtet".

Die Kirchen und die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche bezeichnen Kirchenasyl als "Ultima Ratio", "wenn die Abschiebung in menschenrechtsverletzende Verhältnisse droht oder wenn Leib und Leben im Falle einer Abschiebung gefährdet sind." Genau dort liegt der Knackpunkt: Die 2013 in Kraft getretene "Dublin-III"-Verordnung, die die europaweiten Zuständigkeiten für Asylverfahren regelt, betrifft 169 der 200 aktuellen Kirchenasyl-Fälle. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bewertet diese Fälle seit Januar neu: In der Regel drohe in sogenannten Dublin-Fällen eben keine Gefahr für Leib und Leben. Die Menschen im Kirchenasyl gelten demnach als "flüchtig".

"Abschiebungen in menschenunwürdige Zustände"

Dadurch verschiebt sich auch der Zeitpunkt, ab dem Deutschland und nicht der Erstaufnahmestaat für das Asyl-Verfahren zuständig wird, von sechs auf 18 Monate. Zudem bedeute das Ablaufen dieser Frist nicht, dass das Asylbegehren tatsächlich in Deutschland geprüft werden müsse.

Diesen Einschätzungen widerspricht die BAG Asyl in der Kirche mit Verweis auf Menschenrechtsverletzungen in Italien, Ungarn, Bulgarien und auf Malta. "Dublin III" führe zu "Abschiebungen in menschenunwürdige Zustände", Familientrennungen und Obdachlosigkeit.

Die besondere Schutzwürdigkeit von Kindern sowie traumatisierten oder kranken Flüchtlingen werde nicht berücksichtigt. Auch SPD-Vorstandsmitglied Kerstin Griese erklärte am Montag, Kirchenasyl sei "die letzte Möglichkeit, Menschen beizustehen, wenn ihrer Meinung nach staatliches Handeln die individuelle Lage einzelner Flüchtlinge missachtet".

 

Katholische Gemeinde baut Flüchtlingsunterkunft / © Gerd Vieler (KNA)
Katholische Gemeinde baut Flüchtlingsunterkunft / © Gerd Vieler ( KNA )
Quelle:
KNA