Sierra Leone leidet unverändert unter der Ebola-Epidemie

"Waffen werden viel schneller geliefert als Krankenbetten"

Vor allem Sierra Leone leidet unter der Ebola-Epidemie und hat deswegen alle öffentlichen Weihnachts- und Silvesterfeiern verboten. Bruder Lothar Wagner, Leiter von Don Bosco Fambul, einem Zentrum für Straßenkinder und Jugendliche in Freetown, im domradio.de-Interview.

Ebola-Opfer (dpa)
Ebola-Opfer / ( dpa )

domradio.de: Keine öffentlichen Weihnachts- und Silvesterfeiern. Wie haben die Menschen in Sierra Leone auf dieses Verbot reagiert?

Wagner: Zum einen sind die Menschen natürlich traurig, weil – wie jedes Jahr - Muslime gemeinsam mit den Christen Weihnachten feiern wollen. Es gibt hier sehr viele tolerante Menschen. Die Regenzeit ist vorbei, wir haben die ersten Tage der Trockenzeit, die Menschen kommen wieder raus. Da trifft es die Menschen sehr hart, Weihnachten jetzt nicht öffentlich zu feiern. Trotzdem muss man sagen, dass die Entscheidung der Regierung richtig ist.

domradio.de: Sie unterhalten ja das größte Therapiezentrum für Kinder, die irgendwie mit Ebola in Verbindung gekommen sind und eben auch das Zentrum für Straßenkinder und Jugendliche. Wie, würden Sie sagen, ist die Situation derzeit?

Wagner: Es spitzt sich nach wie vor zu. Man kann nicht davon ausgehen, dass es hier eine Entwarnung geben kann. Die Infektionsrate steigt täglich. Wir haben den Gipfel noch nicht erreicht. Don Bosco schätzt, dass wir bis Januar noch damit zu kämpfen haben, zumindest in dem Sinne, dass wir allen Infizierten die entsprechende Behandlung zukommen lassen können. Das ist bisher noch nicht der Fall. Wenn man bedenkt, dass wir derzeit nur 300 Behandlungsbetten im ganzen Land haben, aber jede Woche bis zu 500 Neuinfektionen. Das zeigt ja schon die Diskrepanz. Dann werden also Infizierte nach Hause geschickt und das Virus kann sich weiter ausbreiten. Das ist einfach fatal.

domradio.de: Wie leben denn die Menschen mit dieser ständigen Angst, die ja nun fast schon ein dreiviertel Jahr anhält?

Wagner: Die Menschen berühren sich nicht, kein Körperkontakt, man geht auf Distanz, vor allem, wenn Menschen krank sind. Das ist ja nicht nur Ebola, sondern auch Malaria, Tuberkulose, Cholera, Typhus usw. Die Menschen werden gemieden. Die Krankenhäuser sind leer. Kein Mensch geht dorthin. Die Todeszahl der Menschen, die an anderen Krankheiten nicht behandelt werden können, ist weitaus höher als die der Ebola-Toten. Es ist wirklich dramatisch, wie das ganze Gesundheitssystem zusammengebrochen ist. Menschen erhalten  überhaupt keine medizinische Hilfe.

domradio.de: Worin setzen Sie denn Ihre Hoffnungen, dass es bald aufwärts gehen könnte gegen die Ebola-Epidemie?

Wagner: Ich denke, dass sich das irgendwann ausbrennen wird. Die Menschen, die die Sicherheitsvorkehrungen nicht einhalten, werden infiziert  und sterben. Irgendwann werden die Menschen Schutzbestimmungen einhalten, eben nicht Tote beerdigen, sondern warten bis das Beerdigungsteam kommt, das dann mit Schutzkleidung die Toten beerdigt. Aber es gibt hier auch einen Totenkult, bei dem die Toten gewaschen werden. Das ist natürlich der beste Weg, dass das Virus sich weiter verbreiten kann. Ich hab einfach die Hoffnung, dass nach acht Monaten Aufklärungskampagnen die Menschen die Botschaft erhalten haben und dass man präventiv viel besser einwirken kann.

domradio.de: Was sieht man denn von den internationalen Hilfsprogrammen in der Hauptstadt Freetown?

Wagner: Ich spreche seit letzter Woche von einem Totalversagen der internationalen Gemeinschaft. Das kann ich aufrechterhalten und dafür gibt es genügend Belege. Die Toten haben keine Stimme mehr. Ich habe viele junge Menschen, die Ebola hatten, in den Tod begleitet, mit Schmerzmitteln. Da habe ich die internationale Gemeinschaft auf dem Feld nicht gesehen. Das man hier acht Monate diese Ebola-Epidemie hat und nicht mehr als 300 Betten geschaffen hat - und die meisten Betten sind von Nicht-Regierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, wie dem Deutschen Roten Kreuz. Das Ganze ist halbherzig gelaufen, viel zu spät, und auch jetzt noch kommt Hilfe viel zu spät. Heute werden Waffen viel schneller geliefert als Krankenbetten. Wir sind hier vergessen. Die Situation ist nach wie vor total außer Kontrolle.

Das Gespräch führte Christian Schlegel. Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu eigen.


Quelle:
DR