Salesianer: Eher Waffen als Ebolahilfe

"Ich bin glücklich vor Ort zu sein"

Als beschämend und halbherzig beschreibt Salesianerbruder Lothar Wagner die internationale Hilfe im Kampf gegen Ebola. Er kümmert sich in Sierra Leone um Ebola-Waisen. Waffen seien einfacher zu bekommen als Patientenbetten.

Bruder Lothar Wagner (dpa)
Bruder Lothar Wagner / ( dpa )

domradio.de: Wie würden Sie die Lage vor Ort beschreiben?

Bruder Lothar Wagner: Don Bosco beschreibt die Lage seit Monaten als 'total außer Kontrolle'. Das sieht man einfach daran, dass nicht ausreichende einfache Labore, an denen wir Bluttests vornehmen können, hier vorhanden sind. Man braucht 3-4 Tage bis man ein Blutergebnis bekommt. Es gibt nicht genügend Behandlungsbetten, es gibt nicht genügend Personal, also Ärzte, Krankenschwester, Seuchenexperten, Logistiker und es bleibt der lokalen Regierung nichts anderes übrig als die Strategie zu fahren, die Kranken von den Gesunden zu trennen. Diese Verdachtsfälle werden nun in sogenannten Holding-Centers geparkt und viele warten dort vergeblich auf ein freies Bett in einem Behandlungszentrum und dort sterben die Kranken reihenweise weg.

domradio.de: Sie sagen, dass von der internationalen Hilfe nichts zu spüren ist. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Bruder Lothar Wagner: Man muss sich das mal vorstellen, die Epidemie haben wir jetzt hier in Sierra Leone seit acht Monaten und es ist nicht einmal gelungen 300 Behandlungsbetten aufzubauen. Das ist für mich sehr beschämend, sehr halbherzig. Es scheint mir hier an einem politischen Willen zu fehlen, die Medien berichten auch kaum mehr darüber. Da gibt es anscheinend auch eine Korrelation zwischen Medieninteresse und politischem Willen etwas zu tun. Ich hoffe einfach, dass da jetzt demnächst etwas starten kann. Es scheinen heute Waffenlieferungen einfacher zu sein als Behandlungsbetten zu liefern. Das ist für mich dieses Totalversagen der internationalen Gemeinschaft, dass wir hier vor Ort einfach vergessen sind.

domradio.de: Was machen die nationalen Gesundheitsbehörden?

Bruder Lothar Wagner: Die nationalen Gesundheitsbehörden sind natürlich überfordert. Die Ebola hat hier einen guten Nährboden gefunden, dadurch, dass das Gesundheitssystem hier vor der Ebola-Pandemie nicht funktionierte. Die Korruption greift hier um sich, Ärzte verlangen Gelder, das Vertrauen in das Gesundheitssystem ist sehr gering. Wir haben hier auch ein sehr schwaches Bildungssystem vor der Ebola-Krise gehabt, wir brauchen hier Monate bis wir die Bevölkerung aufgeklärt haben. Wir haben auch eine korrupte Polizei und Justizwesen hier, die es nicht schaffen, Menschen in Quarantäne zu halten. Es ist leicht, sie zu bezahlen. Jeder kann ein und aus gehen in Quarantänezonen. Die lokale Regierung ist total überfordert, weil sie mit einem nichtfunktionierenden System arbeiten muss und daher sind wir - das sagen wir ja seit acht Monaten - auf internationale Hilfen angewiesen. Die internationale Gemeinschaft ist sich dessen auch sehr bewusst und von daher finde ich das moralisch einfach verwerflich, dass hier so wenig geschieht und nicht eben der Situation vor Ort entsprechend.

domradio.de: Sie sind Leiter eines Zentrums für Straßenkinder und -jugendliche. Können Sie ihre Situation beschreiben?

Bruder Lothar Wagner: Die nimmt dramatisch zu in den letzten Wochen. Wir haben jetzt über 3000 Kinder, die ihre Eltern verloren haben. Sie haben zusehen müssen, wie ihre Eltern Zuhause sterben, wollten Ihnen beim Sterben auch nahe sein, haben sich dann selbst infiziert, wurden in ein Behandlungszentrum gebracht - glücklich der, der das überlebt hat. Diejenigen, die jetzt entlassen wurden, werden vor lauter Angst von den Familienmitgliedern nicht mehr aufgenommen, weil eben ein tief sitzender Hexenkult hier besteht. Viele Familienmitglieder haben Besitztümer der Familie der Kinder geplündert. Diese Kinder landen derzeit auf den Straßen und dort sind wir mit Sozialarbeitern auch in der vergangenen Nacht unterwegs gewesen, um eben diesen Kindern nahe zu sein, um ihnen zu helfen, die schwersttraumatisiert sind.

domradio.de: Sie gehen also täglich mit der Angst um das eigene Leben umher, selbst angesteckt zu werden. Was ist ihr Beweggrund trotzdem in Sierra Leone zu bleiben und weiterzuhelfen?

Bruder Lothar Wagner: Das ist für mich natürlich Don Bosco. Wir brauchen natürlich auch Vorbilder. Don Bosco war ein Mensch, der dort gewesen ist, wo es gebrannt hat. Papst Franziskus betont das immer wieder, wir Ordensleute müssen die Welt aufwecken und das ist jetzt auch praktisch umgesetzt. Natürlich bin ich auch ein Mensch, nicht nur Ordensmann, der guten Zuspruch braucht, der Mut machende Worte braucht. Die bekomme ich natürlich auch aus meiner Heimat. Ich als Mensch bin natürlich auf diese Worte auch angewiesen, zum anderen natürlich auch auf meinen Glauben. Was ich jetzt hier erlebe in Freetown, das ist für mich wirklich der aktualisierte Kreuzweg Jesu. Wir müssen uns hier klar positionieren: Sind wir die, die weglaufen oder sind wir eben die, die das Schweißtuch reichen, die helfen das Kreuz der Kinder zu tragen. Ich erlebe momentan hier jede Menge Gotteserfahrung oder ein Kairos wie man das nennt, wo Himmel und Erde sich treffen. Das sind so kleine Millisekunden, die ich erlebe, Gotteserfahrungen, die mir hier die Kraft geben, da zu sein. Ohne diese Kraft wäre ich auf keinen Fall hier vor Ort. Ich kann auch nicht sagen, dass ich hier von Todesängsten verfolgt werde - ganz im Gegenteil, ich bin sehr glücklich jetzt hier vor Ort zu sein.

Das Interview führte Christian Schlegel.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu eigen.


Über Ebola aufklären (dpa)
Über Ebola aufklären / ( dpa )
Quelle:
DR