Caritas-Generalsekretär kritisiert Europa-Politik

"Nicht an der falschen Stelle sparen"

Der Generalsekretär von Caritas Europa, Jorge Nuno Mayer, fordert ein Umdenken in der Europäischen Politik. Die soziale Ungleichheit dürfe nicht länger wachsen.

Autor/in:
Kerstin Bücker
Jorge Nuno Mayer  (KNA)
Jorge Nuno Mayer / ( KNA )

KNA: Herr Nuno Mayer, was muss passieren, damit Europa sozialer wird?

Nuno Mayer: Wir brauchen vor allem politischen Willen und das Verständnis, dass wirtschaftliches Wachstum allein Europa nicht aus der Krise führen wird. Wir brauchen eine soziale Politik, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es ist nicht akzeptabel, dass im reichen Europa die soziale Ungleichheit wächst. Vor allem Menschen in Ländern mit schwachen Sozialsystemen sind davon betroffen. Die größte Macht, etwas zu ändern, liegt hier bei den Mitgliedstaaten selbst. Subsidiarität ist gut, aber Solidarität im europäischen Kontext ist wirklich wichtig.

KNA: Wie sollen Staaten mit eigenen Finanzproblemen eine soziale Politik finanzieren?

Nuno Mayer: Die Staaten müssen ihre Investitionen auf Qualität überprüfen. Wenn Einsparungen zu sozialer Armut führen, dann wird an der falschen Stelle gespart. Gerade in Ländern mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird jedoch die soziale Ungleichheit größer. Auch da hat der Staat eine Aufgabe. Er kann zum Beispiel Reichtum besteuern, wenn er nicht produktiv ist und keine Arbeitsplätze schafft. Damit können die Reichen einen Beitrag zum Erhalt der Gesellschaft leisten.

KNA: Warum ist es wichtig, dass die EU aktiv Sozialpolitik betreibt?

Nuno Mayer: Mit dem EU-Beitritt verpflichtet sich jeder Staat zur Solidarität und zu einer Wertegemeinschaft. Das ist ein Gründungsprinzip der EU. Wir haben uns also auch verpflichtet, auf die gesamte Bevölkerung achtzugeben. Wir müssen Solidarität in die Wege leiten, damit Menschen etwa in Griechenland oder Spanien nicht auf der Strecke bleiben. Wenn die EU für sich eine Kompetenz für Wirtschaftspolitik beansprucht, die Auswirkungen auf mehr oder weniger Armut hat, sollte sie auch Verantwortung für Armut übernehmen.

KNA: Was passiert, wenn wir so weitermachen wie bisher?

Nuno Mayer: Das schlimmste Szenario - das sehen wir schon in einigen Ländern wie Griechenland oder Spanien - wäre der Bruch mit dem Gesellschaftsvertrag. Die Menschen glauben nicht mehr an ein Zusammenleben, an die Rolle des Staates. Und das führt dann zu mehr Gewalt, zum Aufstieg radikaler Parteien. Europa wird unsicher. Wenn wir alle in Europa weggucken, wird die Gesellschaft auseinanderbrechen.

KNA: Wie soll die EU künftig mit Flüchtlingen umgehen?

Nuno Mayer: Die EU-Bürger sind sich möglicherweise nicht bewusst, was in der Welt los ist: Mehr als 800 Millionen Menschen leiden Hunger und sterben vielleicht schon morgen daran. Etwa 50 Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Tod, 5 Millionen allein wegen den Krisen in Syrien und Irak. Von diesen fünf Millionen hat die EU hat in den vergangenen zwölf Monaten nur 70.000 Asylbewerber angenommen. Wir können viel mehr leisten!

Das sind nicht Menschen, die nach Europa kommen und vom Sozialsystem schmarotzen wollen. Diese Menschen wollen arbeiten, einen Beitrag zur Gesellschaft leisten und für sich und ihre Kinder eine gute Zukunft haben. Die ärmsten Länder der EU empfangen derzeit die meisten Asylbewerber und werden damit alleingelassen. Die Menschen landen in Händen von Menschenhändlern. Europa muss vor allem verantwortlicher und menschlicher werden.

KNA: Was kann die Kirche, was können Hilfsorganisationen wie Caritas in diesem Fall tun?

Nuno Mayer: Caritas kümmert sich allein im Mittleren Osten um fast eine Million Menschen, auch mit Unterstützung von den europäischen Caritasorganisationen. Wir brauchen aber auch in der EU funktionierende Mechanismen, um den Menschen zu helfen. Flüchtlinge sind in erster Linie Menschen, das dürfen wir nicht vergessen. Sie sind kein Problem, sondern können einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, den wir in unserem alternden Europa brauchen.

Es ist Aufgabe der Politik, die Bevölkerung besser zu informieren. Damit könnten wir ein Umdenken und einen gesellschaftlichen Wandel schaffen. Kirchen und soziale Organisationen haben dann die wichtige Aufgabe, eine Struktur des Willkommens für die Flüchtlinge zu schaffen, so dass sie Teil der Gesellschaft werden.

 


Quelle:
KNA