domradio.de-Kommentar zum Kampf gegen den Hunger

"Ich bitte um Würde, nicht um ein Almosen!"

Mehr als 800 Millionen Menschen hungern nach UN-Angaben weltweit noch immer. Die Ernährungskonferenz in Rom will konkrete Pläne dagegen erarbeiten. Die eindringliche Rede von Papst Franziskus vor den Delegierten kommentiert Ingo Brüggenjürgen.

Ingo Brüggenjürgen / © Ide Lödige (DR)
Ingo Brüggenjürgen / © Ide Lödige ( DR )

„Ich bitte um Würde, nicht um ein Almosen!“,

sagte Papst Franziskus heute vor der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Hunger tötet. Jeden Tag neu. Hunger quält, seit Jahrhunderten. Jeder neunte Mensch auf unserem Planeten geht abends hungrig zu Bett, wenn er denn überhaupt ein Bett hat. Unterernährung trägt Jahr für Jahr zum Tod von 2,9 Millionen Kindern unter 5 Jahren bei. Hunger ist und bleibt das größte Gesundheitsrisiko weltweit. Es sterben mehr Menschen an Hunger als an Aids, Malaria und Tuberkulose zusammen.

Wie oft schon habe ich diese Fakten bedacht und dann doch wieder verdrängt. Auch die versammelten Experten der Weltagrarorganisation (FAO) und Weltgesundheitsorganisation (WHO), die sich in dieser Woche in Rom getroffen haben, kennen und diskutieren diese erschreckenden Tatsachen seit Jahren. Immer und immer wieder versuchen sie, mit diesen Fakten die Weltöffentlichkeit zu erreichen. Papst Franziskus hat es in Rom ebenfalls versucht, wie schon seine Vorgänger. Die Vereinten Nationen planen gar in ihren Nachhaltigkeitszielen festzuschreiben, dass der Hunger bis 2030 von der Erde verbannt wird.

Das klingt gut und macht sich bestimmt auch gut auf dem Papier. Es wäre ja auch möglich, dass alle Menschen satt würden. Da sind sich unsere Experten ausnahmsweise sogar einmal einig. Es werden genug Nahrungsmittel weltweit produziert. Das Problem ist und bleibt die Verteilung. 98 Prozent der Hungernden leben in den Entwicklungsländern. Sie bekommen zu wenig ab vom weltweiten Kuchen. Hungernde brauchen eine starke Lobby.

Wie gut, dass der Papst vom anderen Ende der Welt das Problem nicht nur aus den Akten kennt. Wie gut, dass er so klar und eindrücklich den Delegierten und der Weltöffentlichkeit in ihr Gewissen redete. Nahrungsmittel dürften nicht durch die ‚Priorität des Marktes‘ und den ‚Primat des Profits‘ zu einem Handelsgut wie jedes andere degradiert werden. Das solidarische Handeln der ganzen Weltfamilie sei erforderlich. Es geht, da hat der Papst Recht, hier nicht um ein Almosen, welches die Hungernden fordern. Es geht um die Würde eines jeden Einzelnen!

Gerade Christen müssen sich da besonders in die Pflicht nehmen lassen, denn das Jesuswort: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben!“ (Mt 25,35) gilt damals wie heute. In einer Weltfamilie, die sich heute am Abend nicht mehr an Herd- und Lagerfeuern versammelt, sondern digital überall auf dieser Erde zuhause ist und den Hungernden ins Auge sehen kann, sind wir für die Würde eines jeden Einzelnen verantwortlich. Und das heißt, dass wir das Problem nicht den Experten und dem Papst alleine überlassen dürfen. „Brich mit den Hungrigen Dein Brot“ – es gibt nichts Gutes, außer man tut es…

Ingo Brüggenjürgen

domradio.de-Chefredakteur