Unicef: Flüchtlingskinder in Deutschland werden oft massiv benachteiligt

"Kinder bleiben Kinder"

Sie flüchten mit ihren Familien nach Deutschland. Was sie dann häufig erwartet, ist Zurücksetzung und Ausgrenzung. Viele Flüchtlingskinder werden von den Behörden nicht kindgerecht behandelt, deckt jetzt eine Studie auf.

Flüchtlingskind (dpa)
Flüchtlingskind / ( dpa )

Flüchtlingskinder werden in Deutschland laut einer Studie des UN-Kinderhilfswerks Unicef oft massiv benachteiligt. Die am Dienstag in Berlin vorgestellte Untersuchung "In erster Linie Kinder" beleuchtet umfassend die Situation der Kinder, die mit ihren Familien in Deutschland Zuflucht suchen. Viele müssten monatelang auf einen Kita- oder Schulplatz warten, es gebe kaum Freizeitangebote für sie, heißt es darin. Zudem würden sie nur in Notfällen medizinisch versorgt und lebten mit ihren Familien häufig jahrelang in Gemeinschaftsunterkünften ohne Privatsphäre.

Das Handeln der Behörden widerspreche häufig den Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, kritisierte Anne Lütkes, Vorstand bei Unicef Deutschland. So würden nach deutschem Asylrecht Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren bereits als Erwachsene behandelt. Laut der auch von Deutschland ratifizierten UN-Kinderrechtskonvention gelten Jugendliche bis 18 Jahren aber als Kinder. Das deutsche Asylrecht ignoriere den gesetzlichen Vorrang des Kindeswohls, sagte Lütkes.

Zurücksetzung in allen Lebensbereichen

"Kinder bleiben Kinder, auch wenn sie auf der Flucht sind", betonte sie weiter. "Sie haben ihr Zuhause verloren und brauchen besondere Förderung." Mädchen und Jungen, die in Deutschland Zuflucht suchten, erführen aber in allen Lebensbereichen Zurücksetzung. Lütkes sieht deshalb einen "unabdingbaren Handlungsbedarf".

Auch bei den Entscheidungen über das Aufenthaltsrecht von Familien werde das Kindeswohl von Gesetzgeber und Behörden oft komplett ignoriert, sagte der Autor der Studie, Thomas Berthold. Dies sei fatal, denn oft sei es die Lebenssituation der Kinder, die Familien zur Flucht bewege. Viele Familien flüchteten aus Angst vor Beschneidungen oder Zwangsverheiratungen ihrer Kinder, wegen verschlossener Bildungswege oder der Gefahr, Opfer von Kinderhandel zu werden.

Mehr Hilfe bei Schul- und Kitasuche gefordert

Schätzungsweise 65.000 Flüchtlingskinder leben laut Berthold derzeit mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Deutschland. Viele von ihnen müssten als Integrationsmittler für die Familie fungieren, begleiteten die Eltern auf Behörden und in Beratungsstellen, um zu dolmetschen. "Mit dieser Rolle sind viele überfordert", sagte der Referent beim Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge. Sie erlebten ihre Eltern als hilflos und schwach und sich selbst als für die Aufenthaltssicherung der gesamten Familie verantwortlich. Diese Erfahrungen könnten eine kindgerechte Entwicklung behindern.

An behördlicher Unterstützung mangelt es laut Studie auch bei der Suche nach einem geeignetem Schul- oder Kitaplatz. Die medizinische Versorgung sei auf akute Erkrankungen und Schmerzzustände beschränkt und müsse zuvor vom zuständigen Amt genehmigt werden.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD), forderte eine gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit Flüchtlingskindern in Deutschland. "Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie in Deutschland ihre traumatischen Erfahrungen der Flucht überwinden, um wieder Kind sein zu können", sagte Strässer.


Quelle:
epd