Zentrale Passagen des Sozial-Papiers

"Initiative für eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung"

In einer gemeinsamen "Initiative für eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung" haben evangelische und katholische Kirche in Deutschland eine breite Debatte über moralische Normen und gesetzliche Kontrollen in der Wirtschaft angeregt. Die Katholische Nachrichten-Agentur dokumentiert zentrale Passagen des Papiers, das am Freitag in Frankfurt vorgestellt wurde.

 (DR)

"Wirtschaftliche Aktivitäten - unternehmerisches Handeln aber auch Transaktionen auf den Finanzmärkten - stellen keinen Selbstzweck dar und sind nie nur eigennutzorientiert zu betrachten. Ihr Ziel ist es, die menschliche Entwicklung insgesamt zu befördern, Armut zu beseitigen, reale Freiheiten der Menschen zu vergrößern und so das Gemeinwohl weiterzuentwickeln. Deswegen kann Gewinnmaximierung um jeden Preis niemals eine moralisch akzeptable Handlungsmaxime sein - schon gar nicht dann, wenn sich mit ihr überhaupt kein realwirtschaftlicher Nutzen verbindet (...)

Nur eine verantwortlich gestaltete Marktwirtschaft ist geeignet, den Wohlstand hervorzubringen, der erforderlich ist, um für alle Menschen ein Leben in Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit zu ermöglichen. Um diese Funktion zu erfüllen, bedarf die Marktwirtschaft einer Rahmenordnung, die die wirtschaftliche Betätigung des Einzelnen und der Unternehmen letztlich in gemeinwohldienlichen Bahnen hält. Diese Rahmenordnung (...) bedarf breiter demokratischer Entscheidungsprozesse aller Beteiligten im Blick auf gemeinsame Werte. Wo jedoch einzelne Unternehmen oder ganze Branchen diese Bahnen verlassen, muss der Staat diesem Missbrauch der Freiheit wirksam Grenzen setzen können. Auch in einer wettbewerbsorientierten globalen Wirtschaft muss der Primat der Politik gewährleistet bleiben. (...)

Die Krisenjahre haben auch gezeigt, dass es Deutschland besser als anderen Industrieländern gelungen ist, sich auf die Herausforderungen der Globalisierung einzustellen (...) Zugleich dürfen wir aber nicht die Augen davor verschließen, dass nicht alle Menschen in unserem Land an diesem Wohlstand teilhaben. Wie in den meisten OECD-Ländern, so hat auch in Deutschland in den letzten 30 Jahren die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen zugenommen.

Eine besondere sozialpolitische Herausforderung liegt darin, dass es nach wie vor eine große Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft gibt, die dauerhaft von der Teilhabe an Erwerbsarbeit und damit von sozialen Aufstiegschancen ausgeschlossen sind. Eine derartige soziale Exklusion ist nicht nur in moralischer, sondern auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht ein Problem. Es ist deshalb eine vordringliche Aufgabe der Sozialpolitik im 21. Jahrhundert, die soziale Aufstiegsmobilität zu fördern. Hierbei kommt dem Bereich der Bildung eine Schlüsselrolle zu (...).

Die Finanzmarktkrise der Jahre 2007-2009 (...) war eine strukturelle Krise und deshalb müssen auch die strukturellen Ursachen gesucht und beseitigt werden. Deshalb geht es nicht nur darum, dass sich auch Banken in ihrer Geschäftspolitik nach den Grundsätzen des ehrbaren Kaufmanns richten sollen (...) Genauso wichtig ist es zu fragen, welche verfehlten Strukturen so viele Akteure auf den Finanzmärkten dazu angereizt haben, alle Grundsätze nachhaltigen Geschäftsgebarens zu missachten und extrem hohe Risiken einzugehen (...). Gleichzeitig liegt es auch in der Verantwortung des Staates, Institutionen zu schaffen, die geeignet sind, geltendes Recht für alle in gleicher Weise durchzusetzen. Das bedeutet, dass solche Institutionen, wie z.

B. Bankenaufsicht oder Steuerverwaltung auch mit entsprechenden Kompetenzen sowie materiellen und personellen Ressourcen auszustatten sind (...).

Auch die Ideologisierung der Deregulierung, die die Politik jahrelang dazu drängte, die Märkte, besonders die Finanzmärkte, sich selbst zu überlassen, ist durch die Krise widerlegt worden. Richtig ist vielmehr eine der Grundannahmen der Sozialen Marktwirtschaft: dass nämlich die Märkte eine Rahmenordnung und eine wirksame ordnungspolitische Aufsicht benötigen (...).

Dazu ist ein größeres Maß internationaler Zusammenarbeit erforderlich. Nach den Erfahrungen der Krise betrifft das zunächst einmal die politische Erarbeitung von gemeinsamen Standards und Regeln für die Finanzmärkte, aber auch von ökologischen und sozialen Mindeststandards. Ein globaler Markt braucht eine globale Ordnung.

(...)

Aber nicht nur auf den Finanzmärkten, auf allen Märkten brauchen wir eine ordnungspolitische Erneuerung der Verantwortungskultur. Nicht die kurzfristige Steigerung der Aktienkurse, sondern der nachhaltige Unternehmenserfolg muss der Maßstab für die Bewertung von Unternehmen und die Entlohnung von Managern sein. Auch hier muss das Prinzip der Haftung wieder mehr zur Geltung gebracht werden. Boni ohne Mali darf es nicht mehr geben, weder für Manager noch für Investoren. (...)

Bei allem notwendigen Bemühen um eine Haushaltskonsolidierung darf die europäische Krise nicht auf dem Rücken von Millionen von Menschen gelöst werden, die sie nicht verursacht haben. (...) Darüber hinaus ist es nach unserer Überzeugung weder im Interesse der heutigen noch der zukünftigen Generationen, das Projekt Europa aufgrund nationaler Egoismen an grundsätzlich lösbaren finanz- und geldpolitischen Problemen scheitern zu lassen. (...)

Deutschland und Europa müssen beim Aufbau einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft (...) eine Vorreiterrolle übernehmen. Mit der Entscheidung zur Energiewende hat Deutschland bereits Verantwortung übernommen. Wenn Deutschland dabei ein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort bleibt und das deutsche Sozialmodell allgemeinen Wohlstands nachhaltig gestaltet werden kann, kann die Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft zu einem Vorbild und Modell für andere Staaten werden. (...)

Neben der Anerkennung der monetären Beitragsleistungen zur Rentenversicherung ist eine weitergehende Anerkennung des generativen Beitrags zur Rentenversicherung erforderlich. (...) Es ist gut, wenn die bestehende Ungleichbehandlung von Erziehungszeiten vor und nach

1992 nun endlich korrigiert wird. Auch ist zu prüfen, inwiefern Versorgungslücken durch Pflegezeiten in der Rente Berücksichtigung finden könne. (...)

In Deutschland hat sich der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise positiv entwickelt. Zu dieser positiven Entwicklung trug die Sozialpartnerschaft in Deutschland, die in der Tarifautonomie sowie in der betrieblichen Mitbestimmung und der Unternehmensmitbestimmung ihre institutionellen Grundlagen findet, maßgeblich bei.

Die Arbeitslosigkeit, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, ist deutlich gesunken. Auch die Sockelarbeitslosigkeit konnte abgebaut werden. Die Gesamtzahl aller Arbeitsverhältnisse hat einen Höchststand erreicht, auch wenn das Arbeitsvolumen, z.B. durch die zunehmende Teilzeitarbeit, sich nicht erhöht hat. Dazu haben die Arbeitsmarktreformen der letzten zehn Jahre beigetragen (...).

Denn Arbeitslosigkeit ist mehr als bloße Einkommenslosigkeit. Sie bedeutet den Ausschluss aus einem zentralen Lebensbereich unserer Gesellschaft. Partizipation am Arbeitsmarkt und Teilhabe an der Erwerbsarbeit sind wesentlicher Ausdruck gesellschaftlicher Inklusion (...).

Da es vor allem an Perspektiven für Langzeitarbeitslose mit mehreren Vermittlungshemmnissen mangelt, wären für diesen Personenkreis zusätzliche Beschäftigungsmaßnahmen, etwa im Sinne eines geförderten Arbeitssektors, erforderlich. Die Kirchen sehen es mit Sorge, dass in den letzten Jahren gerade in den oben genannten Bereichen die öffentlichen Mittel gekürzt wurden. Es ist daher festzustellen, dass das angemessene Verhältnis von "Fordern" und "Fördern" aus der Balance geraten ist. Kein Mensch darf als "nicht-aktivierungsfähig" abgeschrieben werden. (...)

Wie sehr die Staaten Europas mittlerweile miteinander verwoben sind, zeigt sich derzeit in der sogenannten Eurokrise (...).  Trotz umfangreicher Rettungsmaßnahmen für zahlungsunfähig gewordene Staaten ist bisher keine grundlegende Besserung der Situation eingetreten; die wirtschaftliche und soziale Situation in einigen Ländern des Südens ist weiter angespannt. (...) Es ist richtig, dass Deutschland aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke und der damit einhergehenden besonderen Verantwortung Haftungsrisiken im Rahmen der Maßnahmen zur Stabilisierung einzelner Krisenländer und der Währungsgemeinschaft insgesamt übernommen hat.

Die Prinzipien von Solidarität und Subsidiarität beinhalten jedoch eine Gegenseitigkeit (...). Auch Hilfeempfänger müssen selbst Verantwortung übernehmen. Mittel- und langfristig führt kein Weg daran vorbei, die Staatshaushalte zu konsolidieren. Dabei muss jedoch auch beachtet werden, dass dieses Ziel durch radikale kurzfristige Kürzungen konterkariert werden kann. Zudem ist darauf zu achten, dass die Lasten dieser Konsolidierungspolitik gerecht verteilt

werden.(...)

Wir sehen mit Sorge, dass sich in der allgemeinen Wahrnehmung die Ökonomie immer weiter von der Ethik entfernt hat. Dabei wollen wir keineswegs bestreiten, dass der Bereich der Wirtschaft gemäß einer eigenen Sachlogik funktioniert (...). Trotzdem hat sich auch der, der sich auf dem Markt bewegt, an die moralischen Regeln zu halten, die im gesellschaftlichen Umgang geboten sind. Die Tugenden der Gerechtigkeit, der Ehrlichkeit und des Maßhaltens werden durch die ökonomische Rationalität in keiner Weise relativiert. Wo dies geschieht und wo dementsprechend bedenkliche Haltungen wie Gier und Maßlosigkeit propagiert und praktiziert werden, zersetzt sich der gesellschaftliche Zusammenhalt mit fatalen Folgen insbesondere für die schwächsten Glieder (...).

Die menschliche Gesellschaft ist keine Gemeinschaft von puren Egoisten, aber auch keine von reinen Altruisten. Dem trägt das Modell der Sozialen Marktwirtschaft Rechnung, weil es einerseits das menschliche Leistungsstreben und Konkurrenzverhalten in den Dienst volkswirtschaftlicher Effizienz stellt, aber andererseits den marktwirtschaftlichen Wettbewerb auf das Gemeinwohl hin ordnet und im Wege des Sozialstaats mitmenschliche Solidarität organisiert. Diese Verbindung (...) ist mehr als eine spezifisch deutsche Wirtschaftsverfassung, sondern ein moralisch begründetes Sozialmodell, das tief in der europäischen Kultur wurzelt. Diese Kultur Europas ist ganz wesentlich durch das Christentum geprägt worden. Auch darum fühlen wir uns als Christen dazu aufgerufen mitzuwirken, um dieses kulturelle Erbe zu bewahren und lebendig zu halten. (...)

 


Quelle:
KNA