Forscher rekonstruieren die Zustände in Heimen der katholischen Behindertenhilfe der Nachkriegszeit

"Wir wollen einen Prozess anstoßen"

Freiburger Wissenschaftler wollen mögliche Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der katholischen Behindertenhilfe und Psychiatrie in der Nachkriegszeit erforschen.

Autor/in:
Sebastian Stoll
Heimkinder (dpa)
Heimkinder / ( dpa )

Die sogenannte Heimkinderstudie der Katholischen Hochschule Freiburg entsteht, weil es kaum Erfahrungen über die Zustände in diesen Einrichtungen gibt. "Die NS-Zeit ist vielerorts sehr gut aufgearbeitet, aber es schließt sich wenig an", sagt Laura Arnold. Sie ist Wissenschaftlerin an der Katholischen Hochschule Freiburg und koordiniert die interdisziplinäre Studie "Heimkinderzeit in der katholischen Behindertenhilfe und Psychiatrie in den Jahren 1949 bis 1975" oder kurz: die Heimkinderstudie.

In Auftrag gegeben hat die Arbeit die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CPB). Was in Heimen für nichtkranke oder nichtbehinderte Kinder in dieser Zeit geschehen ist, das ist heute zu großen Teilen aufgeklärt und diskutiert - nicht zuletzt durch den Runden Tisch Heimerziehung, den die Bundesregierung bis ins Jahr 2010 eingerichtet hatte. Bei denen, die nicht immer so gut reden können, klafft dagegen bis heute eine Leerstelle.

Im Jahr 2015 wollen die Forscher ihre Studie abschließen, bis dahin gehen sie in drei Phasen vor: Zunächst wird aus den verstreuten Akten in den Archiven der Caritas die Zahl der Heime und Insassen rekonstruiert, anschließend befragt man einige der nun Erwachsenen-Heimkinder über die Zustände dieser Zeit und ihre persönliche Erfahrung. Wie die Fragen genau lauten, das bleibt ebenso geheim wie die Antworten.

"Es geht uns dabei um die Teilnehmer. Je weniger über sie bekannt ist, desto besser sind sie geschützt", sagt Laura Arnold. Erst wenn man einen Überblick über die verschiedenen Erfahrungen bekommen hat, die die Menschen in den Einrichtungen gemacht haben, werde ein standardisierter Fragebogen entwickelt. Den bekommt eine große Zahl ehemaliger Heimkinder vorgelegt: "Dann können wir herausfinden, was allgemeingültig ist und was nicht."

Und wenn die Wissenschaftler fertig sind, ist immer noch kein Täter und keine Einrichtung benannt, in der es vielleicht besonders schlimm war. Man kennt nur eine Größenordnung. Mehr ist nicht das Ziel der Forscher, kann es auch nicht sein, findet Laura Arnold - schließlich soll die Studie kein Abschluss der Auseinandersetzung sein, sondern nur ein Anfang. "Wir hoffen natürlich, dass das Thema damit nicht ad acta gelegt wird, sondern andere Forschungsinstitute und einzelne Einrichtungen es in Mikrostudien aufgreifen. Wir wollen mit unserer Arbeit einen Prozess anstoßen."

Das hofft man auch beim Deutschen Behindertenrat in Berlin. Hier ist klar: Sofern Verbrechen zutage treten, müssen daraus auch Konsequenzen gezogen werden. "Wenn die Studie zu einer Entschädigung der Opfer führt, ist das gut", sagte Sprecher Benedikt Dederichs. Allerdings dürfe die Forschungsarbeit nicht als Grund für ein Spiel auf Zeit dienen.


Quelle:
epd