Frido Pflüger SJ sieht politischen Handlungsbedarf bei der deutschen Regierung

"Für Deutschland ist es blamabel"

Frido Pflüger SJ, Leiter des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, zur europäischen Flüchtlingspolitik. Ein domradio.de-Interview.

Kenterndes Flüchtlingsboot vor Lampedusa: Europas Schande? / © Alexander Stein/JOKER (epd)
Kenterndes Flüchtlingsboot vor Lampedusa: Europas Schande? / © Alexander Stein/JOKER ( epd )

domradio.de: Die Bundesregierung selbst sieht ja keinen Bedarf an einer Überarbeitung des europäischen Asylrechts, weil sie meint, Deutschland nehme bereits mehr Flüchtlinge auf als beispielsweise Italien. Wo sehen Sie denn Deutschland in der Pflicht?

Pflüger: Ich denke, wenn die erste Äußerung des deutschen Innenministers nach der Lampedusa-Tragödie war, dass es anscheinend keinen Bedarf gibt, dass Deutschland irgend etwas ändert, dann ist das eigentlich schon blamabel für ein Land mit so einer reichen humanitären Kultur. Es muss uns doch ein großes Anliegen sein, dass man die Menschen, die Gewalt erleiden und die von Kriegen bedroht sind, dass wir  denen helfen und da etwas tun. Aber wir tun es einfach nicht ausreichend. Und dann zu sagen, es gibt nichts zu tun, wenn Hunderte von Menschen, und seit Jahren sind es eigentlich Tausende, im Mittelmeer umkommen, wo so Viele von uns Urlaub machen.

domradio.de: Die momentanen Regelungen sehen ja vor, dass die meisten Asylbewerber, die nicht legal einreisen, in dem EU-Land bleiben müssen, über das sie in die EU gekommen sind. Also vielfach  Italien, Griechenland, Spanien. Aber gerade diese Länder sind ja besonders von der Euro-Schuldenkrise gebeutelt. Wäre da ein Verteilungsschlüssel die Lösung in der europäischen Flüchtlingspolitik?

Pflüger: Nicht nur die Leute, die illegal kommen, sondern auch die, die wirklich zu Recht kommen, müssen nach Asyl fragen, müssen Asyl dort beantragen, wo sie eingereist sind. Und wenn sie weiterreisen, dann werden sie einfach in dieses Land wieder zurückgeschoben. Der größte Teil, also mindestens 80 Prozent der Leute, die bei uns in Deutschland in den sogenannten Abschiebungshaften sind, sind Leute, die innerhalb Europas herumgeschoben werden. Wir brauchen schon irgendeine Art von Verteilung. Sie sagen zurecht, diese Länder im Süden sind völlig überbelastet und die stehen auch finanziell wesentlich schlechter da und wirtschaftlich wesentlich schlechter da. Deswegen kann man nicht, wie der Innenminister, sagen, Deutschland nimmt prozentual mehr auf als Italien. Italien solle seine Pflicht erfüllen. Ich denke, das ist einfach Unsinn. Ob ein Verteilungsschlüssel hilft, da bin ich mir nicht sicher, denn da haben wir wieder diese Verschieberei, weil die Leute ja dorthin wollen, wo sie eigentlich gerne selber hinwollen. Und man müsste überlegen und sich fragen, warum können wir denn Asylsuchenden nicht freistellen, wo sie Asyl beantragen wollen. Das wäre in unseren Augen, vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst, die einfachste und beste und sicherste Methode, eine gute Verteilung hinzukriegen.

domradio.de: Momentan geht man ja nicht davon aus, dass auf dem EU-Gipfel Änderungen beschlossen werden, auch wegen der Haltung Deutschlands. Was erhoffen Sie sich dennoch vom heutigen EU-Gipfel in Brüssel?

Pflüger: Ich erhoffe mir schon, dass eigentlich die Länder des Südens, also Italien, Malta, auch Griechenland, dass die einfach laut genug werden und sagen, wir können das nicht mehr schultern und wir brauchen dringend Veränderungen, weil so geht es einfach nicht. Ich merke gleichzeitig, dass auch in Deutschland sich immer mehr Stimmen auftun, die solche Äußerungen von Politikern, es gibt nichts mehr zu tun, dass die das einfach nicht mehr durchlassen wollen. Es besteht schon, so empfinde ich es zumindest, eine sehr große positive Bereitschaft in der Bevölkerung, sich auf die Problematik einzulassen und den Leuten zu helfen. Also diejenigen, die nur ablehnen und sagen, das ist Boot ist voll oder wir wollen keine mehr, das ist nur eine Stimme. Und ich glaube, das ist inzwischen sogar nur die kleinere Stimme.


Quelle:
DR