20 Jahre Tafel-Bewegung in Deutschland

Zwischen Überfluss und Mangel

Vor 20 Jahren ist in Berlin die erste Tafel für Bedürftige entstanden. Mittlerweile gibt es über 900 davon in ganz Deutschland. Bei allem Lob gibt es seit einigen Jahren auch Kritik an der sogenannten Tafel-Bewegung.

Autor/in:
Birgit Wilke
20 Jahre Tafel-Bewegung in Deutschland (dpa)
20 Jahre Tafel-Bewegung in Deutschland / ( dpa )

Es ist eine Idee, die vor allem in ihrer Einfachheit besticht: Unternehmen produzieren Überschüsse, bei sozial Bedürftigen fehlt es am Monatsende oft am Notwendigsten. Warum also nicht einfach überflüssige Lebensmittel an diese Bedürftigen verteilen? Anfang der 90er Jahre fing eine Berliner Fraueninitiative an, diese Idee umzusetzen und gründete in der deutschen Hauptstadt die erste Tafel. Was in den USA schon seit einigen Jahren funktionierte, sollte auch in der Bundesrepublik Schule machen, so meinten die Frauen damals.

20 Jahre ist das her. Inzwischen gibt es über 900 Tafeln. 50.000 Ehrenamtliche engagieren sich dafür und helfen rund 1,5 Millionen Menschen, monatlich über die Runden zu kommen. Getragen werden die Tafeln von Wohlfahrtsverbänden und Bürgervereinen. Dazu kommt ein Bundesverband, der sich mit seinen sieben fest angestellten Mitarbeitern vor allem um die Logistik kümmert.

Tafeln kontern Kritik

Bei allem Lob gibt es seit einigen Jahren auch Kritik an der sogenannten Tafel-Bewegung. Die wird auch wieder laut werden, wenn der Bundesverband mit mehreren hundert zumeist ehrenamtlichen Helfern am Mittwoch in Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern zu seinem Bundestreffen zusammenkommt. Hauptvorwurf ist, dass sich die Tafeln inzwischen von ihrem ursprünglichen Ansatz als Notlösung entfernt hätten und der Politik inzwischen als eine Art Alibi dienten.

Einer der größten Kritiker ist der Sozialwissenschaftler Stefan Selke. Ihm gehe es nicht um Ja oder Nein, betont der Wissenschaftler immer wieder. Die Tafeln, die sich um bedürftige Menschen kümmern, leisteten im Prinzip wertvolle Arbeit. Wirklich notwendig seien aber politische Lösungen wie eine armutsvermeidende Mindestsicherung, so Selke. Seiner Initiative "Kritisches Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln" schlossen sich auch Verbände der Caritas und der Diakonie an.

Die Tafeln kontern: Natürlich müsse die Bewegung aufpassen, sich nicht vereinnahmen zu lassen - nicht von der Politik, nicht von Lebensmittelketten, meint der Bundesvorsitzende Gerd Häuser dazu. Und natürlich habe sie im Laufe der Jahre Fehler gemacht und dazu gelernt. Zugleich betont er jedoch, dass die Tafeln nie den Anspruch gehabt hätten eine Vollversorgung zu bieten, das sei eindeutig Aufgabe des Staates. Stattdessen wollten die Tafeln Menschen ermöglichen, sich vielleicht auch mal eine kulturelle Veranstaltung leisten zu können.

Graswurzelbewegung "von unten nach oben"

Auch an der Gründung eines eigenen Bundesverbandes gibt es Kritik. Mit seinen festangestellten Mitarbeitern verursache er nur überflüssige Verwaltungskosten, lautet der Vorwurf. Der Sprecher des wissenschaftlichen Beirats des Tafel-Bundesverbands, der Sozialwissenschaftler Wiking Ehlert, hält dagegen: Die Tafelinitiative sei eine Graswurzelbewegung und arbeite auch weiterhin "von unten nach oben". Sie werde nicht "irgendwie von oben gesteuert", so der Wissenschaftler.

Sabine Werth gehörte vor 20 Jahren der Berliner Fraueninitiative an, die die US-amerikanische Idee nach Deutschland brachte. Die Tafel-Bewegung ist für die 55-jährige Berlinerin so etwas wie ein Lebenswerk. Und im Laufe der Jahre hat sie gelernt, mit Kritik gelassener umzugehen. In einem Interview sagte sie jüngst, viele Menschen, die die Tafeln aufsuchten, kämen nicht in erster Linie wegen der Lebensmittel. Für sie sei die Einrichtung auch aus einem anderen Grund zu einer wichtigen Anlaufstelle geworden.

Ihnen gehe es um die Kontakte, die sie in den Ausgabestellen hätten, meint Werth. Dort hätten sich wertvolle Begegnungen ergeben, seien Freundschaften entstanden. Sie habe es mal erlebt, so erzählt die Tafel-Gründerin, dass eine Frau nachmittags beim Abholen der Lebensmittel sagte: "Sie sind heute der erste Mensch, mit dem ich rede." Alleine dafür sei es doch toll, dass es die Tafeln gebe.


Quelle:
KNA