Wolfgang Niedecken im Kongo

"Ich muss mir nur vorstellen, es wären meine Kinder"

Hunger- und Kriegsschicksale gehen BAP-Sänger Wolfgang Niedecken an die Nieren. Seit langem engagiert er sich für Afrika - ungeachtet aller Hürden. Beim Besuch von Welthungerhilfe-Projekten im Ostkongo lädt er den Trotz-Akku auf: "Jetzt erst recht!"

Autor/in:
Silvia Vogt
In einer Werkstatt für Prothesen (epd)
In einer Werkstatt für Prothesen / ( epd )

Wenn Kakule tanzt, muss er vier Beine koordinieren: seine eigenen und seine Krücken. Dennoch dreht sich der 16-jährige Kongolese voller Schwung im Takt der Musik. Er genießt die Freiheit, die ihm noch vor wenigen Jahren versagt war. Kakule hatte Kinderlähmung, konnte nicht mehr laufen. Mit deutscher Hilfe hat er die Behinderung in den Griff bekommen. Wolfgang Niedecken ist beeindruckt. "Ich könnte das nicht", sagt der Bandleader von BAP.

Gebannt verfolgt der 62-jährige Rockstar den Begrüßungstanz im Welthungerhilfe-Projekt "Stand Proud" in der ostkongolesischen Stadt Butembo. Zehn Jungen und junge Männer leben derzeit dort zusammen mit einem Verwalter, mehrere Dutzend weitere Jungen und Mädchen kommen von außerhalb hinzu. Sie alle waren durch Polio oder Meningitis so gehandicapt, dass sie gar nicht oder nur schwer aufrecht laufen konnten. Dank medizinischer Behandlung und orthopädischer Gehhilfen richten sie Rücken und Stolz wieder auf.

"Ich finde das großartig", sagt Niedecken. "Mit einfachsten Mitteln wird hier das Möglichste erreicht." Die Jungen in Butembo leben in äußerst einfachen Verhältnissen, wie zu Hause in ihren Dörfern. Auch ihre Stützprothesen aus Metallbändern sind ganz simpel, aber effektiv. In einer eigenen Werkstatt befestigt Verwalter Kasereka Kisokero die Stützen zwischen Schuh und Sohle. "Ich mag diese 'Arte Povera' wie in der Kunst, wenn aus einfachen Materialien viel herausgeholt wird", lobt der deutsche Besucher. "Das Möglichste mit dem Vorhandenen zu machen, das klappt auch hier. Das haben die Kerle ganz fantastisch vorgeführt."

Einsatz für ehemalige Kindersoldaten

Der Kölschrock-Sänger engagiert sich seit langem für und in Afrika. Sein eigenes Projekt "Rebound" für ehemalige Kindersoldaten liegt ganz in der Nähe von Butembo. Begegnungen mit jugendlichen Opfern des Bürgerkriegs in Uganda gingen Niedecken an die Nieren.

"Das konnte ich nicht mit einem Schulterzucken abtun", sagt der 62-Jährige. Es folgten Zentren in Uganda und im Kongo, seit 2004 ist Niedecken Botschafter für das Hilfswerke-Bündnis "Gemeinsam für Afrika".

"Ich versuche, mich nicht zu inflationär zu engagieren", sagt Niedecken, "aber Afrika liegt mir am Herzen." Das Schicksal benachteiligter, hungernder oder behinderter Kinder berührt den vierfachen Vater besonders. "Ich sage ungern Betroffenheitssätze, aber das geht einem schon nahe. Und wenn es um Kinder geht, bin ich immer nahe am Wasser gebaut. Ich muss mir nur vorstellen, es wären meine."

Im Schlafraum des "Stand Proud"-Hauses liegen vier Matratzen auf dem Boden, die kahlen Wände zieren ein paar kleine Poster mit Motorrädern. Sie fallen Niedecken sofort ins Auge. Voller Bedauern zuckt der graugelockte Rocker die Schultern: "ein unerfüllbarer Traum für die Jungs". Selbst wenn die Maschinen erschwinglich wären, könnten die Polio-Opfer wohl nie eine beherrschen.

Perspektive im Handwerk geben

Und die Zukunft? "Ich möchte wie Bill Gates werden", wünschen sich mehrere Jungen, die sich in der Schule von Informatik haben fesseln lassen. Im Ostkongo, von Armut geprägt und von Gewalt erschüttert, bleiben große Karrieren fast immer reine Utopie. Um den Jugendlichen aber wenigstens eine Perspektive im Handwerk zu öffnen, will die Welthungerhilfe das Projekt mit einer neuen Werkstatt unterstützen.

"Da wo wir geboren sind, haben wir schon sechs Richtige gezogen", resümiert Niedecken. Im Osten des Kongos bleiben für viele nur die Nieten: Hunderttausende sind vor den Kämpfen der vergangenen Jahrzehnte auf der Flucht, Vergewaltigungen als Kriegswaffe zählen zum Alltag. "Man könnte hier zig 'Rebounds' aufmachen, und es wäre nicht genug", sagt Niedecken. Und dennoch habe die Reise ihm wieder gezeigt, dass Hilfe etwas bewegen könne und auch sein Einsatz als Aktivist und Promi nicht sinnlos sei: "Ich spüre, dass sich meine 'Und-jetzt-erst-recht-Akkus' wieder aufladen."


Quelle:
epd