Vogel: Staat-Kirche-Verhältnis ist gut

Genossen und Bergpredigt

Der frühere SPD-Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel hält das Staat-Kirche-Verhältnis in Deutschland für gelungen. Es sprechen gute Gründe dafür, daran festzuhalten, sagt Vogel, der selbst katholisch ist. Dabei schließt er die Kirchensteuer mit ein.

Hans-Jochen Vogel (dpa)
Hans-Jochen Vogel / ( dpa )

KNA: Herr Vogel, warum hat sich die SPD immer so schwer mit der katholischen Kirche getan, wo doch Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika "Rerum novarum" 1891 die soziale Frage zum Thema machte?

Vogel: Das gilt nicht für alle Zeiten, aber es war ein Entwicklungsprozess. Gerade gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es beiderseits Positionen, die eine Zusammenarbeit kaum möglich machten. Die Schärfe, mit der Leo XIII. den Kapitalismus verurteilte, hätte man zwar eher bei Marx oder Engels vermutet, doch die Kirche lehnte damals Demokratie, Menschenrechte und Religionsfreiheit ab. Ein Dialog zwischen einer Kirche mit einer solchen Haltung und einer Partei, die für soziale Gerechtigkeit und die politischen Rechte des Menschen kämpfte, ging nicht unter einen Hut. Erst 1965 hat das katholische Lehramt seine fundamentalen Irrtümer über Demokratie, Menschenrechte und Religionsfreiheit korrigiert.

KNA: Sie selber sind mit 24 Jahren als bekennender Katholik 1950 in die SPD eingetreten. Was hat Sie dazu bewogen?

Vogel: Nach dem Krieg war mir klar, dass man sich auch für das Gemeinwesen engagieren muss. Die Generation zuvor hatte uns auch einen totalen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung hinterlassen. Ich sah mich deshalb bei den Parteien um und las deren Grundsatzdokumente. Die SPD beeindruckte mich wegen ihres Einsatzes für die soziale Gerechtigkeit und weil sie gegen den heraufziehenden Nationalsozialismus gekämpft hatte. Zudem hatten nicht wenige Sozialdemokraten um den Preis des eigenen Lebens und der eigenen Freiheit Widerstand geleistet.

KNA: Gab es einen letzten auslösenden Moment?

Vogel: Den gab es im Juni 1949 in Rosenheim. Dort war Kurt Schumacher als Redner auf einer Wahlkundgebung angekündigt. Von Miesbach aus, wo ich als Gerichtsreferendar tätig war, fuhr ich mit dem Fahrrad hin. Schumacher hat mich dann stark beeindruckt - einen Arm im Ersten Weltkrieg verloren, später den Unterschenkel als Folge von elf Jahren KZ amputiert. Die Art, wie er sprach, war sehr glaubwürdig. Übrigens hatte er schon lange vor dem Godesberger Programm einmal gesagt:"Worauf der einzelne seine Überzeugung für soziale Gerechtigkeit stützt, das müsse ihm überlassen sein. Auch die Bergpredigt könne jemanden dazu bringen." Das hat einem Katholiken, den Entschluss der SPD beizutreten, erleichtert.

KNA: Hatten Sie katholische Mitstreiter?

Vogel: In München kann ich mich an keinen erinnern. Unvergessen ist mir aber eine Tagung 1957 in der Katholischen Akademie in Bayern zum Thema SPD und Kirche. Da saßen auf dem Podium unter anderen der Jesuit Oswald von Nell-Breuning und die Sozialdemokraten Carlo Schmid und Waldemar von Knoeringen. Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) hatte gegen die Veranstaltung sogar in Rom seine Bedenken angemeldet, aber der damalige Münchner Kardinal Joseph Wendel und Akademiedirektor Karl Forster hielten daran fest.

KNA: Dabei gab es in den 1950 und 1960er Jahren diese berühmten Wahlhirtenbriefe, in denen den Katholiken gesagt wurde, wo sie ihr Kreuz zu machen hätten ...

Vogel (wird lebhaft): Den letzten gab es noch 1980, als Franz Josef Strauß gegen den amtierenden Kanzler Helmut Schmidt antrat. In dem Brief wurden der Bundesregierung ernste Vorwürfe wegen einer übermäßigen Verschuldung gemacht. Geschrieben hatte ihn leider der Kölner Kardinal Joseph Höffner als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, den ich persönlich sehr schätzte. Jahre später nahm ich auf den Vorwurf im Bundestag noch einmal Bezug. Wenn die Verschuldung die Kirche wirklich alarmiere, sagte ich, dann hätte unter der Regierung Kohl ein Brief vom Papst eintreffen müssen.

KNA: War das Zweite Vatikanische Konzil für die SPD hilfreich?

Vogel: Das Godesberger Programm 1959 und der Abschluss des Konzils mit der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" 1965 waren die beiden Ereignisse, die den Anstoß zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen SPD und katholischer Kirche gaben. Ich erinnere mich an ein Gespräch, das Knoeringen mit dem Münchner Kardinal Julius Döpfner Anfang der 1960er Jahre führte. Mit Verweis auf das Godesberger Programm meinte er, das sei doch eine Brücke, die sich hin zur Kirche abzeichne. "Eine Brücke ja, aber sie ist noch nicht begehbar", sagte Döpfner. Das war sie meiner Meinung nach spätestens ab Mitte der 1960er Jahre.

KNA: Später war die Politik der Annäherung, die die SPD mit den Ostblockstaaten betrieb, durchaus auch Linie des Vatikan...

Vogel: Ja. Aber es gab es eine kritische Situation, als der Vatikan plante, die Diözesen in der DDR neu abzugrenzen, eine eigene Bischofskonferenz einzurichten und einen Nuntius zu entsenden. Dagegen haben nicht nur die westdeutschen Bischöfe, sondern auch die Bundesrepublik Einspruch erhoben. Es ist dann auch unterblieben.

KNA: Wie beurteilen Sie die Stellung der Kirchen oder Religionen in der heutigen SPD?

Vogel: Die Beziehungen sind normal. Eine Reihe von Entscheidungen der Union sind unter kirchlichen Gesichtspunkten nicht weniger kritisch zu beurteilen als die der SPD. Es gibt den Arbeitskreis Christen in der SPD, und in München das von Franz Maget ins Leben gerufene Forum "Kirche und SPD". Auch im Zentralkomitee der deutschen Katholiken sind Sozialdemokraten vertreten.

KNA: Wie schätzen Sie die Zukunft des Staat-Kirche-Verhältnis ein?

Vogel: Es sprechen gute Gründe dafür, die deutsche Lösung dieses Problems beizubehalten, einschließlich der Kirchensteuer und den aus der Weimarer Verfassung übernommenen Regelungen des Grundgesetzes. Das gilt auch für das Bayerische Konkordat. Die Sache mit den sogenannten Konkordatslehrstühlen scheint ja nun geklärt. Auch ist es sinnvoll, dass der Staat seit Beginn dieses Jahres die Gehälter der Bischöfe und Domkapitulare nicht mehr unmittelbar an diese zahlt, sondern die Kirche dafür jährlich einen Gesamtbetrag erhält.

Das Interview führte Barbara Just


Quelle:
KNA