Rückblick auf neun Jahre Amtszeit

Rörig als unbequemer Mahner

Vor neun Jahren trat der Jurist Rörig als Nachfolger von Ex-Ministerin Bergmann das Amt des Missbrauchsbeauftragten an. Er machte klar, dass er beim Thema sexualisierte Gewalt keine Ruhe geben wird. Auch bei den Kirchen.

Autor/in:
Birgit Wilke
Johannes-Wilhelm Rörig bei einer Pressekonferenz im Januar 2020 / © Gregor Fischer (dpa)
Johannes-Wilhelm Rörig bei einer Pressekonferenz im Januar 2020 / © Gregor Fischer ( dpa )

Als der Missbrauchsskandal vor zehn Jahren zunächst in kirchlichen, dann aber auch in anderen Einrichtungen öffentlich wurde, rief die Bundesregierung zügig einen Runden Tisch mit Ministern, Wissenschaftlern, Kirchen und weiteren Vertretern der Zivilgesellschaft ein. Und sie berief einen Beauftragten für das Thema Missbrauch. Das war zunächst die ehemalige Familienministerin und SPD-Politikerin Christine Bergmann. Nachfolger wurde 2011 der Jurist Johannes-Wilhelm Rörig, der lange Zeit ihr Büroleiter war.

Diejenigen, die damals dachten, dass die Politik und Gesellschaft nun schnell wieder zur Tagesordnung zurückkehren könnten, sahen sich getäuscht: Mit Rörig, der aus Kassel stammt und seit Ende der 1980-Jahre in Berlin lebt, betrat ein unbequemer Mahner die Bühne, der sich entschieden hatte, keine Ruhe zu geben, bis sich tatsächlich etwas ändert und Heranwachsende besser vor Missbrauch geschützt werden. Zum Ende der laufenden Legislaturperiode will Rörig sein Amt abgeben.

Ihm sei damals nicht klar gewesen, wie schwierig die Aufgaben waren, und welche Widerstände er überwinden musste, erzählt er. Aber er habe immer frei agieren können, so der 61-jährigen Jurist, der mit der Amtszeit Bergmanns als Ministerin vor zwanzig Jahren vom Berliner Roten Rathaus in das Familienministerium gezogen war. Niemand habe ihm in seine Arbeit hineingeredet.

Von Beginn an Betroffene in Arbeit einbezogen

Von Beginn an sei es ihm wichtig gewesen, Betroffene in seine Arbeit einzubeziehen, betont Rörig. Ihn hätten die Biografien der Opfer von sexualisierter Gewalt immer wieder aufs Neue betroffen gemacht, zugleich habe er dadurch für seine Arbeit positive Energie ziehen können, um gegen Ungerechtigkeiten und Missstände zu kämpfen. "Wenn man sich einmal mit dem beschäftigt hat, was Kindern und Jugendlichen an schrecklicher Gewalt angetan wurde, dann trifft einen das tief und lässt einen nicht mehr los."

Das erlebten auch die Institutionen und Verbände, in deren Reihen Missbrauch passierte: Rörig beließ es nicht beim Mahnen, sondern sorgte dafür, dass diese sich bewegen mussten. Er handelte Vereinbarungen zur Prävention aus, pochte immer wieder auf unabhängige Aufarbeitung. Rörig sorgte dafür, dass ein Betroffenenrat eingerichtet wurde und Betroffene sich an eine unabhängige Aufarbeitungskommission wenden konnten.

Auch Gesetze wurden nicht zuletzt auf seine Forderungen hin geändert: Die Politik setzte strafrechtliche Verjährungsfristen für Missbrauchstäter herauf und reformierte die Vorschriften so, dass die Strafrechtsbehörden bessere Möglichkeiten zur Nachverfolgung von Tätern haben. Für die Betroffenen wurden schnelle Hilfen eingerichtet; im vergangenen Jahr verabschiedete der Bundestag das neue Opferentschädigungsgesetz, das es Betroffenen von Missbrauch erleichtert, Unterstützung zu erhalten.

Rörig bewies bei Kirchen langen Atem

Mit Blick auf die Kirchen bewies Rörig, der in seiner Freizeit Langstreckenläufer ist, einen langen Atem: Bei der Überarbeitung der Leitlinien zu Schutz vor Missbrauch war seine Expertise gefragt.
Damit nicht genug: Einen Meilenstein, so sagt er selbst, erreichte er im vergangenen Sommer bei den katholischen Bischöfen, als diese eine Vereinbarung für eine strukturelle Aufarbeitung verabschiedeten. Bei der evangelischen Kirche ist ein ähnlicher Schritt für das kommende Jahr geplant.

Der Missbrauchsbeauftragte machte sich dafür stark, dass sein Amt sowie die Einrichtungen von Aufarbeitungskommission und Betroffenenrat entfristet wurden. Zudem mischte er sich immer wieder in aktuelle Debatten ein: Erst vor wenigen Tagen kritisierte er den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki für dessen Umgang mit einem Aufarbeitungsgutachten und pochte auf Transparenz und Betroffenenbeteiligung.

Als Ziele für die verbleibenden Amtszeit nennt Rörig unter anderem eine gesetzliche Verankerung seines Amtes und die Einsetzung von Missbrauchsbeauftragten in den Bundesländern. Das Thema müsse präsent bleiben und dürfe nicht nur bei schrecklichen Ereignissen wie den Missbrauchsfällen in Münster oder Bergisch-Gladbach auf die Tagesordnung kommen. Was Rörig selbst künftig machen wird, ist noch unklar. Er wolle sich «neuen Herausforderungen stellen», heißt es.


Quelle:
KNA