Arche-Gemeinschaft distanziert sich von Gründer Jean Vanier

"Position und Autorität ausgenutzt"

Über Jahrzehnte hat der Kanadier Jean Vanier Menschen geholfen und unendlich viel für die Akzeptanz von Behinderten getan. Doch nach seinem Tod fällt nun ein dunkler Schatten auf den Gründer der Arche-Gemeinschaften.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz ( KNA )

Jean Vanier, 2019 gestorbener Gründer der christlichen Arche-Gemeinschaften für Menschen mit und ohne geistige Behinderung, soll über Jahrzehnte "manipulative sexuelle Beziehungen" gehabt haben. Das geht aus umfassenden internen Untersuchungen hervor, die die Gemeinschaft am Wochenende in mehreren Sprachen veröffentlichte. Demnach soll der Kanadier Vanier, der kein Priester ist, zwischen 1970 und 2005 die spirituelle Begleitung für sechs Frauen ausgenutzt haben, die von ihm geistlichen Beistand erhofft hätten.

"Einvernehmliche" Beziehungen

Vanier selbst hat demnach kurz vor seinem Tod die Beziehungen zu den erwachsenen und nicht behinderten Frauen als "einvernehmlich" bezeichnet. Die Frauen aus unterschiedlichen Ländern und Lebenssituationen erklärten dagegen, sie seien damals anfällig gewesen, und Vanier habe "seine Position und Autorität ausgenutzt". Die Arche-Gemeinschaft schätzt die übereinstimmenden Anschuldigungen als glaubwürdig ein.

Vaniers Verhalten spiegelt demnach sexuelle Nötigungen von Frauen, wie sie auch seinem 1993 gestorbenen geistlichen Mentor, dem Ordenspriester Thomas Philippe, vorgeworfen werden. Vanier habe Philippes Taten über viele Jahre gedeckt, was er bis zuletzt vehement bestritten habe.

Arche-Gemeinschaft ist betroffen

Die Arche-Gemeinschaft Deutschland und Österreich zeigte sich erschüttert und betroffen über die Untersuchungsergebnisse. Ihr Leiter Claus Michel betonte, man nehme den Schutz der Mitglieder vor geistlichem und sexuellem Missbrauch sehr ernst. Die Arche stehe "zu dem Leitprinzip, den einzigartigen Wert jeder Person anzuerkennen". Eine unabhängige Bewertung der Präventionsrichtlinien solle im Sommer abgeschlossen werden. Es gebe bislang keinerlei Hinweise, dass Philippe oder Vanier "vergleichbare Taten auch gegenüber Menschen mit Behinderungen verübt" hätten.

Der charismatische Katholik Vanier wurde 1928 in Genf geboren. 1964 gründete der Philosophie-Dozent und vormalige Marineoffizier in einem Dorf nördlich von Paris die erste von heute mehr als 150 Arche-Gemeinschaften, in der Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammenleben. 2015 erhielt Vanier den Templeton-Preis für Verdienste um die Menschlichkeit und Ende 2016 eine Ehrung der Französischen Ehrenlegion.

Der Arche-Verantwortliche in Frankreich, Pierre Jacquand, sprach vom "Gefühl, verraten worden zu sein", und von einem gebrochenen Herzen. "Jean Vanier war mein Freund", zitiert ihn die Zeitung "La Croix" (Samstag); "er hat mir so viel Gutes getan, wie Tausenden anderen Menschen auch." Und doch habe er es "vorgezogen, uns anzulügen". Der Verantwortliche von Arche International, Stephan Posner, sagte: "Er hat ein ganzes Segment seines Lebens vor uns versteckt."

Französische Bischofskonferenz: "Wie konnte er das vereinbaren?"

Auch der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort von Reims, äußerte sich entsetzt über die Vorwürfe gegen Vanier. "Wie konnte er das grässliche Spiel von Pater Thomas Philippe mitspielen, ein Komplize werden und dabei diese verrückte Vermessenheit eines höheren mystischen Zustands beibehalten?", heißt es in einer Erklärung von de Moulins-Beaufort. Vanier habe unendlich viel für das Leben und die Akzeptanz von behinderten Menschen getan; "wie konnte er all das in seinem Leben vereinbaren?"

Die Vorsitzende der französischen Ordensoberenkonferenz (Corref), Schwester Veronique Margron, betonte, die Arche-Gemeinschaften hingen seit langem nicht mehr von ihrer Gründerfigur ab. Dennoch werde es noch einige Zeit brauchen, um zu begreifen, wie eine "so strahlende Persönlichkeit" wie Vanier "ein so dunkles Antlitz verbergen konnte". Die Ordensprovinz der Dominikaner in Frankreich beschloss unterdessen am Wochenende die Einsetzung zweier neuer Untersuchungskommissionen zu Pater Thomas Philippe (1905-1993), dem spirituellen Mentor Vaniers, mit dem er viele Ansichten und offenbar auch Praktiken teilte.

Weltweit gibt es nach eigenen Angaben der Gemeinschaft derzeit 154 Archen in 38 Ländern weltweit mit etwa 10.000 Mitgliedern, Behinderten und ihren Betreuern. In Deutschland gibt es drei Archen, in Tecklenburg (Nordwestfalen), Ravensburg (Oberschwaben) und Landsberg am Lech (Südwestbayern). Die Arche entstand im katholischen Milieu, versteht sich inzwischen aber als überkonfessionell und zum Teil interreligiös.


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Quelle:
KNA