Dokumentarfilm über Missbrauch erschüttert Polen

"Alle Hoffnung auf den Papst"

18 Millionen - so viele Zuschauer sahen den polnischen Dokumentarfilm über Kindesmissbrauch in der Kirche bereits im Internet. Wird Papst Franziskus nun Fehler von Bischöfen bestrafen? Das fragen sich viele Polen.

Autor/in:
Oliver Hinz
Priester mit Smartphone  / © Harald Oppitz (KNA)
Priester mit Smartphone / © Harald Oppitz ( KNA )

Das Entsetzen ist groß. Ein zweistündiger Dokumentarfilm hat viele Millionen Polen das ganze lebenslange Leid der Frauen und Männer begreifen lassen, die in ihrer Kindheit von katholischen Priestern sexuell missbraucht wurden. Zugleich führte ihnen die auf YouTube veröffentlichte Doku vor Augen, wie Kirchenobere Täter keineswegs anzeigten, sondern einfach in eine andere Pfarrei versetzten, wo sie weiter mit Kindern zu tun hatten.

Schon mehr als 18 Millionen Mal wurde "Nur sag es niemandem" auf der Videoplattform seit dem Start am vergangenen Wochenende aufgerufen.

Kein TV-Kanal hatte den Film des freien Journalisten Tomasz Sekielski ausstrahlen wollen. Erst das gewaltige Interesse bewirkte ein Umdenken. Der große Privatsender TVN nahm die Doku an diesem Freitag kurzfristig um 23.00 Uhr in sein Programm auf.

Was macht Franziskus?

Immer mehr polnische Katholiken und Kommentatoren wünschen sich nun, dass Papst Franziskus gegen Bischöfe aktiv wird, die Missbrauchsfälle ignoriert oder vertuscht haben sollen. "Kommt es zu Bischofsrücktritten? Alle Hoffnung auf dem Papst", titelte die linksliberale Zeitung "Gazeta Wyborcza". Das Online-Portal "Wirtualna Polska" wandte sich per Brief direkt an den Vatikanbotschafter in Warschau, Erzbischof Salvatore Pennacchio. Darin protestiert die Redaktion unter anderem gegen "inakzeptable Reaktionen von Geistlichen wie des Danziger Erzbischofs Leszek Glodz".

Der Erzbischof hatte eine fragende TV-Reporterin abgewimmelt und den Film als belanglos hingestellt: "Ich schaue mir nicht irgendwas an." Glodz entschuldigte sich drei Tage später in einer offiziellen Erklärung, er habe sich "in der Wortwahl vergriffen".

Im Namen von Franziskus meldete sich der Nuntius bereits kurz zu Wort. "Der Papst ist sehr beunruhigt und bekundet seine Sympathie und Solidarität", erklärte Pennacchio. Mit Spannung wird in Warschau der für Mitte Juni geplante Polen-Besuch des Vizechefs der vatikanischen Glaubenskongregation, Erzbischof Charles Scicluna, erwartet. Im Auftrag des Papstes ermittelt er gegen Kleriker, die Minderjährige sexuell missbraucht haben.

Einige polnische Medien erinnerten an den mehr als 2.000 Seiten dicken Bericht über den Missbrauchsskandal in Chile, den Scicluna dem Papst im Frühjahr 2018 vorgelegt hatte. Später boten fast alle chilenischen Bischöfe ihren Rücktritt an.

Dieser Hinweis scheint der Polnischen Bischofskonferenz nicht gefallen zu haben. Ihr Sprecher Pawel Rytel-Andrianik betonte, man habe Scicluna bereits im Sommer 2018 selbst eingeladen. Die Bischöfe hätten ihn als "Experten auf dem Gebiet des Schutzes von Kindern und Jugendlichen" gebeten, einen Studientag mit ihnen zu leiten. Man wolle "seine Erfahrungen und sein Wissen" nutzen.

Kritische Medienberichte oft vehement zurückgewiesen

In vergangenen Jahren hatten manche Bischöfe kritische Medienberichte oft vehement zurückgewiesen und als "Angriff auf die Kirche" bezeichnet. Filmemacher Sekielski kann sich hingegen über die positive Reaktion der Spitze der Bischofskonferenz freuen. Der Vorsitzende Erzbischof Stanislaw Gadecki bedankte sich in einer schriftlichen Stellungnahme bei ihm für seinen Film und entschuldigte sich im Namen des ganzen Episkopats bei allen Opfern.

Der Film ist im Internet auch mit englischen oder spanischen Untertiteln zu sehen. Ob die spanischen Untertitel für den Papst gedacht seien, fragte das Nachrichtenmagazin "Polityka" Sekielski.

"Das wäre phantastisch", wenn sich der aus Argentinien stammende Franziskus den Film anschaue, antwortete er. Er könne sich das bereits vorstellen: "Papst Franziskus sitzt vor dem Laptop und guckt Sekielski. Das wäre etwas."

Im Februar hatte Franziskus Vertreter des polnischen Opfervereins "Habt keine Angst" im Vatikan empfangen und dessen Gründer Marek Lisinski die Hand geküsst. Er war als 13-Jähriger monatelang von einem Priester missbraucht worden. Auf den ihm übergebenen 27 Seiten langen Missbrauchsbericht antwortete der Papst noch nicht. 24 amtierenden und ehemaligen Bischöfen wird darin Vertuschung von Missbrauchsfällen vorgeworfen. Die Bischöfe weisen dies zurück. Sie hätten alle gesetzlichen und vatikanischen Vorschriften eingehalten.


Polnische Bischöfe / © Paul Haring (KNA)
Polnische Bischöfe / © Paul Haring ( KNA )
Quelle:
KNA