Theologe und Missbrauchsopfer zur Konferenz im Vatikan

"Treffen sollte in allgemeines Konzil münden"

Entschuldigungen und der Austausch der Bischöfe reichen nicht aus. Der Theologe Wolfgang Treitler ist selbst Opfer des Missbrauchs in der katholischen Kirche geworden. Er erklärt, warum ihm eine Aufarbeitung der Symptome nicht genügt.

Kreuz in einer Sakristei / © Harald Oppitz (KNA)
Kreuz in einer Sakristei / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Als Schüler an einem katholischen Gymnasium sind Sie Opfer des Missbrauchs durch einen Lehrer geworden. In dieser Woche kommt es zu einem neuartigen Schritt: das Missbrauchstreffen mit dem Papst. Was halten Sie davon?

Prof. Wolfgang Treitler (Professor für Fundamentaltheologie in Wien): Es ist grundsätzlich gut, dass man sich auf weltkirchlicher Ebene in dieser Frage trifft. Ich hoffe aber auch, dass es der Anfang eines Prozesses ist. Wenn ich das so als Wunsch formulieren darf, sollte das Treffen irgendwann auch in ein allgemeines Konzil münden. An der Missbrauchsfrage ist ja nicht nur ein Symptom zu behandeln, sondern wirklich die Struktur der Kirche selbst.

DOMRADIO.DE: Wir haben mit Ihnen gesprochen, als die deutschen Bischöfe ihre Missbrauchsstudie im vergangenen Herbst veröffentlicht haben. Wichtig war damals für Sie nicht, wer sich entschuldigt, sondern es sich etwas ändert. Kann sich bei dem Treffen jetzt im Vatikan denn etwas ändern?

Treitler: Das weiß ich nicht, meine Hoffnungen sind da eher gering. Ich hoffe eher, dass es ein Zusammentreffen, eine Synode ist, die endlich erkennt, dass es um die Strukturen der Kirche geht – um ein großes Ganzes. Man sollte nicht gleichsam an den Symptomen hängen bleiben und sie versuchen zu kurieren.

Die einzelnen Punkte sind mittlerweile so tiefgreifend, dass man durchaus sagen kann, wenn die Kirche hier nicht wirklich eine radikale Form der Umkehr – auch in ihrem eigenen Amtsverständnis – versucht, dann wird sie weiterhin vom Inneren her absterben und irgendwann überflüssig sein.

DOMRADIO.DE: Der Satz, den man jetzt immer wieder hört, zielt darauf ab, dass es vor allem um die Schaffung eines Bewusstseins auf den verschiedenen Ebenen gehe. Reicht Ihnen das nicht aus?

Treitler: Meiner Meinung nach, geht es nicht nur um ein gemeinsames Bewusstsein. Es geht um strukturelle Veränderungen. 96 Prozent der Missbrauchstäter, die kirchlich tätig gewesen sind oder noch tätig sind, sind Männer. Man erkennt unschwer, was es bedeutet eine "Männerkirche" vor sich zu haben, die ohne Frauenamt nicht auskommt.

Es geht hier also auch um die Frage der Integration in die Amtsstruktur der Kirche. Wir hätten hier ein völlig anderes Setting und das ist, glaube ich, etwas, das man nicht innerhalb einer Synode abhandeln kann, sondern in einem allgemeinen Konzil.

DOMRADIO.DE: Ist da auch der Zölibat etwas, das zur Sprache kommen sollte?

Treitler: Ich glaube, der muss durchaus auch mitdiskutiert werden. Wenn man sich umsieht, es gibt ja Kirchenformen, in denen es das Amt mit verheirateten Männern und Frauen gibt. Die haben bei weitem nicht das Problem, dass die katholische Kirche hat.

DOMRADIO.DE: Bei diesem Treffen ist es den Organisatoren wichtig, dass auch Opfer zu Wort kommen. Es wird täglich Statements von Betroffenen geben. Sie selbst sind auch ein Betroffener. Was wird das ändern, was wird das in Ihren Augen bewirken?

Treitler: Es ist unglaublich wichtig, dass man zunächst die Erfahrungen derer wirklich zu Wort kommen lässt, die unter diesen Vorgängen gelitten haben. In einem zweiten Schritt ist es auch bedeutend, das Gesprochene offensiv aufzunehmen, anstatt irgendwie eine Form des geschmeidigen Selbstumgangs weiter zu betreiben.

DOMRADIO.DE: Sie betrachten das Thema Missbrauch schon sehr lange. Wie ist Ihr Eindruck, ändert sich im Moment die Mentalität der Kirche und auch der Gesellschaft in Bezug auf das Thema?

Treitler: Ja, wir haben einen Zustand erreicht, dass das Thema einfach präsent bleibt. Aber es wird schlichtweg auch zu einer Frage der Wahrheit der Kirche selbst. Wenn man das versucht irgendwie zu umschiffen, wird es ein katastrophales Ende nehmen.

Ich entdecke zurzeit jedoch auch einige solcher Formen wieder. Wenn etwa ein alter Abt die Geschichte interpretiert, die Erzbischof Schönborn erzählt hat. Als er als junger Priester vor einem Mitbruder mit einem Kuss bedrängt worden ist und man das so interpretiert, dass es ein Angebot war. Das sind genau die Beispiele, wohin die Kirche nicht gehen kann.

Nochmal, es muss um eine wirklich grundlegende Umkehr gehen, die auch die Amtsfrage, die Gehorsamsfrage und die Zölibatsfrage mit einschließt.

DOMRADIO.DE: Womit wären Sie zufrieden, was wäre ein guter Ausgang?

Treitler: Ich wäre damit zufrieden, wenn es ein wirklich öffentliches Wort darüber gäbe, dass die Bischöfe, die dort anwesend sind – einschließlich der Papst – nicht nur ein Wort der Entschuldigung und des Bedauerns finden. Wenn sie auch Worte finden, die einen neuen Weg der Kirche zeigen, auf der Basis dieser Verbrechen, wäre das für mich ein ganz wichtiges Resultat.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR
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