Papst trifft Missbrauchsopfer - Aufarbeitung in Stufen

Ein Schritt aus der Vertrauenskrise

Für viele deutsche Bischöfe war das Jahr 2010 ein fürchterliches Jahr. Der Missbrauchsskandal stürzte die katholische Kirche hierzulande in eine tiefe Krise. Dass Papst Benedikt XVI. am Freitagabend in Erfurt unangekündigt fünf Missbrauchsopfer traf, markiert einen weiteren Schritt der Aufarbeitung. Und dokumentiert für die Bischöfe zugleich die Hoffnung, dass die Kirche Vertrauen zurückgewinnen kann.

 (DR)

Im Januar 2010 hatte der Leiter des Canisius-Kollegs der Jesuiten in Berlin, Pater Klaus Mertes, die Aufdeckung des Skandals ins Rollen gebracht, als er Vorfälle an seiner Schule bekanntmachte. Fast täglich kamen danach neue Fälle des Missbrauchs durch Priester aus vergangenen Jahrzehnten ans Licht.



Die Bischöfe waren geschockt, reagierten dann aber mit einer ganzen Palette von Maßnahmen. Schon bei ihrer Vollversammlung im März 2010 entschuldigten sie sich "bei allen, die Opfer eines solchen Verbrechens wurden." Bei Worten blieb es nicht. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann wurde zum Missbrauchsbeauftragten der Bischofskonferenz ernannt und eine Hotline für die Opfer eingerichtet. Sie sollte eigentlich in diesem September eingestellt werden, wurde aber bis April 2012 verlängert. Bislang gab es über 7.000 Gespräche und weit über 32.000 Anrufversuche.



Im Sommer 2010 verschärften die Bischöfe die Leitlinien für den Umgang mit den Tätern. Sie enthalten einen Kompromiss zwischen Anzeigepflicht und Opferschutz: Erhärtet sich bei den Gesprächen zwischen potenziellen Opfern und den Missbrauchsbeauftragten der Verdacht auf sexuellen Missbrauch, so schreiben die Leitlinien das Einschalten der staatlichen Strafverfolgungsbehörden vor. Eine Ausnahme ist nur dann zulässig, wenn das Opfer ausdrücklich auf einen solchen Schritt verzichten will. In diesem Fall müssen die Gründe schriftlich dokumentiert werden; das Opfer muss das Dokument unterzeichnen.



Im vergangenen September, also vor einem Jahr, verabschiedete die Bischofskonferenz auch ein Präventionskonzept für alle kirchlichen Einrichtungen. Außerdem präsentierte sie - als einzige Institution - ein Modell zur materiellen Anerkennung des Unrechts. Anfang März 2011 legte sich die Bischofskonferenz bei der Höhe der finanziellen Entschädigung fest: Demnach sollen Betroffene bis zu 5.000 Euro erhalten, wenn sie ihre Ansprüche wegen Verjährung vor Gericht nicht mehr durchsetzen können und der Täter eine Bezahlung nicht leistet.



Zusätzlich übernimmt die Kirche die Kosten für eine Psychotherapie. In besonders schweren Fällen kann auch eine höhere Entschädigungssumme gezahlt werden.



Mit einem symbolischen Bußakt im Paderborner Dom entschuldigten sich die Bischöfe im März dann nochmals für die sexuellen Übergriffe im kirchlichen Raum. Die 69 Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe baten zu Beginn der Fastenzeit Gott um Vergebung für die Vergehen sowie um Hilfe für einen Neuanfang. Im Juli stellte die Bischofskonferenz zwei neue Forschungsprojekte vor, um den Missbrauchsskandal wissenschaftlich aufarbeiten lassen.



Kirchenvertretern ist aber klar, dass die Krise viel tiefer reicht. Belege dafür liefert etwa der "Trendmonitor Religiöse Kommunikation 2010" der kirchlichen Medien-Dienstleistung GmbH (MDG): Danach sehen sich nur noch 17 Prozent der Katholiken ihrer Kirche eng verbunden. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, beklagte eine weitreichende Resignation.



Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, brachte deshalb im vergangenen September bei der Herbstvollversammlung in Fulda einen Dialogprozess auf den Weg. Ein schwieriger Balance-Akt: Denn klar ist, dass der Skandal auch Themen nach oben gespült hat, die im Kirchenvolk virulent sind: etwa Kritik an der Sexuallehre der Kirche, die Rolle der Frauen oder der Pflichtzölibat.



Für Zollitsch geht es in erster Linie um eine geistliche Erneuerung der Kirche. Der Papstbesuch in Deutschland ist für ihn ein Meilenstein auf dem Weg aus der Vertrauenskrise.