Vatikan verlangt von Bischofskonferenzen nationale Leitlinien

Weltweit gegen sexuellen Missbrauch

Der Vatikan will weltweit wirksamer gegen sexuellen Missbrauch durch Kleriker vorgehen. In einem am Montag veröffentlichten Rundschreiben fordert die Glaubenskongregation alle nationalen Bischofskonferenzen auf, bis Mai 2012 eigene Leitlinien für den Umgang mit Missbrauchsfällen zu erarbeiten.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Binnen Jahresfrist müssen alle 112 Bischofskonferenzen weltweit "Leitlinien für die Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker" erarbeiten. Der Vatikan will damit verbindliche Grundstandards festlegen und zugleich die Ortskirchen zu Klärungen in ihrer spezifischen Situation anhalten. Einmal mehr will die Kirche deutlich machen, wie dringlich ihr ein wirksames und präventives Vorgehen ist, damit es nicht wieder zu Skandalen kommt, wie sie die Kirche in den letzten Jahren zutiefst erschüttert haben.



Erst wenige Bischofskonferenzen haben eigene Leitlinien erarbeitet, seit die Missbrauchsfälle zunächst in den USA, dann aber auch in Irland, Deutschland, Australien und anderen Ländern viel Vertrauen in die Kirche zerstörten. Auch Ortskirchen, die bislang von diesen Skandalen verschont blieben, sollten gerüstet sein, um nicht unvorbereitet überrascht zu werden, lautet die Devise der Glaubenskongregation. So hat die italienische Bischofskonferenz bislang noch nicht solche Normen erarbeitet, wie sie bereits in Deutschland, Österreich und der Schweiz bestehen. Während im angloamerikanischen Raum, auf den Philippinen und in Brasilien Leitlinien existieren, gibt es sie kaum in Afrika.



Das neue Rundschreiben enthält keine sensationellen Überraschungen. Es fasst die geltende kirchliche Gesetzgebung für diese Straftaten zusammen, wie sie die Glaubenskongregation zuletzt im vergangenen Juli in einem Brief an alle Bischöfe der Weltkirche verschärft hatte: Es bekräftigt die Priorität des Opferschutzes und fordert Programme zur Prävention sowie klare Vorgaben für die Auswahl der Priesteramtskandidaten. Es verlangt eine Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden, insbesondere für die in manchen Staaten bestehende Anzeigepflicht, die "immer zu beachten" sei - freilich unter Wahrung des Beichtgeheimnisses.



Auf unterschiedliche Realitäten angepasst werden

Die im Rundbrief aufgelisteten Grundthemen und Prinzipien müssten nun auf die unterschiedlichen Realitäten in den einzelnen Ländern angepasst werden, heißt es im Vatikan. Sie sollen die Formulierung der nationalen Leitlinien und damit ein einheitliches Vorgehen innerhalb einer Bischofskonferenz erleichtern. Zugleich bekräftigt das Dokument die grundlegende Kompetenz des Ortsbischof. Seine Aufgabe und Pflicht ist es, bei jedem ernsthaften Verdacht eine Voruntersuchung einzuleiten und, falls sich die Vermutungen erhärten, den Vorfall der Glaubenskongregation in Rom zu melden. Die überprüft den Vorgang und gibt ihn dann dem Bischof zur weiteren Behandlung zurück. Dieser hat darauf zu achten, dass die Rechte aller Betroffenen gewahrt werden - auch dass bis zum Erweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung gilt. Die Verhängung unbefristeter Strafen, etwa die Entlassung aus dem Klerikerstand, fällt wieder in die Kompetenz Roms.



Der Rundbrief enthält keinen Hinweis auf eventuelle Entschädigungen. Diese Frage lasse sich nur im jeweiligen nationalen Rahmen klären, betonte Vatikansprecher Federico Lombardi vor Journalisten. Auch zu Auflagen oder zur Höhe kirchlicher Strafen für Täter macht der Text keine Angaben. Eine Null-Toleranz-Regel, wie die US-Bischöfe sie im Einvernehmen mit dem Vatikan festlegten, findet sich nicht. Zwar ist für bestimmte Fälle von einem vollständigen Verbot der Ausübung des geistlichen Amtes die Rede. Aber es heißt auch: "Die Rückkehr eines Klerikers in den öffentlichen Seelsorgedienst ist auszuschließen, wenn dieser Dienst eine Gefahr für Minderjährige darstellt oder ein Ärgernis in der Gemeinde hervorruft." Eine Weiterbeschäftigung im Kirchenarchiv wird somit nicht ausgeschlossen.



Für kirchliche Verhältnisse ungewöhnlich knapp ist die Frist von gerade einem Jahr, die der Vatikan den Bischofskonferenzen für die Erstellung eigener Richtlinien vorgibt. Dies solle, so Lombardi, einmal mehr die Dringlichkeit unterstreichen, der Plage des sexuellen Missbrauch durch Kleriker zu begegnen und der Kirche volle Glaubwürdigkeit zurückzugeben.